Die Trauben erreichen die Küste
Der Weinbau im Norden und Osten Deutschlands bekommt durch zusätzliche Rebflächen Aufwind
Pfalz, Baden, Mosel, Nahe oder auch Saale-Unstrut: Wenn von heimischen Weinen die Rede ist, denkt der Liebhaber gewöhnlich in diesen geografischen Kategorien. Wer käme auf die Idee, guten Wein in Mecklenburg-Vorpommern oder gar Schleswig-Holstein zu verorten? Aber mit diesem Jahr könnte sich das ändern. Denn ab 2016 gilt in der EU ein geändertes Genehmigungssystem für Rebpflanzungen. Um sowohl der international wachsenden Nachfrage als auch den veränderten Weltmarktbedingungen gerecht zu werden, darf jeder Mitgliedsstaat fortan jährlich seine Weinanbaufläche um ein Prozent erhöhen.
Deutschland entschied sich zwar zumindest für die Jahre 2016 und 2017 nur für eine Erweiterung der Pflanzrechte um jeweils 0,3 Prozent - aber dieses Plus von bundesweit immerhin 300 Hektar Rebfläche pro Jahr begünstigt eben nicht nur jene 13 so genannten »bestimmten Weinanbaugebiete«, die eine geschützte Ursprungsbezeichnung tragen und zumeist südlich des klimatisch privilegierten 50. Breitengrades liegen. Sondern jedes deutsche Bundesland - ausgenommen sind nur Berlin, Bremen und Hamburg - bekommt zunächst einmal für jedes der beiden Jahre jeweils pauschal fünf Hektar zusätzliche Rebfläche zugesprochen.
Wein sei halt zunehmend wirtschaftlich attraktiv, sagt Christoph Reiner, Präsident des Weinbauverbandes Sachsen, dessen Einzugsbereich sich aus historischen Gründen teils auch bis Brandenburg und Sachsen-Anhalt erstreckt. Dabei ist das Weinbaugebiet Sachsen, das sich vor allem im Dresdener Elbtal über 490 Hektar dehnt, nicht nur eines der kleinsten sondern auch das nordöstlichste Europas. Welch Wunder, dass sich allein in den zuständigen sächsischen Stellen inzwischen Anträge für 12,5 Hektar neue Rebfläche summieren. Und bis Mitte September dürfen noch weitere eingereicht werden.
Dort, wo es mehr Antragsteller als genehmigungsfähige Rebfläche gibt, sollen bundeseinheitliche Prioritätskriterien die Auswahl erleichtern. Terrassenförmige Steillagen, wie sie für den Raum um Meißen und Radebeul typisch sind, haben Vorrang vor Flachlagen. Allerdings sieht es Christoph Reiner kritisch, dass hierbei nicht zwingend auch die weinbauliche Eignung einer Hanglage geregelt sei.
Doch auch so glauben die etablierten Weinbaugebiete, sich mit erlesener Qualität gegen diese zunehmende Menge behaupten zu können. Denn bestehende Spielregeln werden im Rahmen des neuen Genehmigungssystems fortgeschrieben, an denen auch der beste Winzer an der Küste nichts ändern kann: Der Ausbau von Qualitätswein und Prädikatswein - beides sind geschützte Begriffe - ist auch weiterhin nur in jenen 13 »bestimmten Anbaugebieten« vorbehalten. In allen anderen Regionen darf lediglich Landwein gekeltert werden, der indes als Begriff auch zwingend an eine Region gebunden ist.
So gibt es bereits die geschützten geografischen Bezeichnungen »Brandenburger Landwein«, »Mecklenburger Landwein« und »Schleswig-Holsteiner Landwein«. Immerhin liegt seit 2009 auch inmitten der Holsteinischen Schweiz bei Malkwitz ein drei Hektar großer Weinberg. Und selbst bei Keitum auf Sylt wird inzwischen gewinzert. Insgesamt definiert der deutsche Weinatlas 26 solcher klar umrissenen Gebiete für Landwein, die mit der neuen Weinmarktregulierung gerade in den norddeutschen Ländern an Attraktivität gewinnen könnten. Lediglich für Tafelwein - heute in der Regel als »Deutscher Wein« bezeichnet - sind keine Anbaugebiete abgegrenzt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.