Anstoßen auf die Apokalypse

Nur selten öffnet sich einem die Welt so sehr, dass man den einst menschenfreien Naturzustand nachempfinden kann. Nie ist sie so intim mit einem Menschen wie am Samstagsmorgen um neun Uhr in Prenzlauer Berg. Die spanischen Austauschstudenten aus der WG gegenüber schnarchen durch ihr geöffnetes Fenster in den Hof hinein, Familien sitzen längst am Frühstückstisch oder stecken gerade im Prozess dorthin im Badezimmer fest. Auf den Straßen herrscht eine apokalyptische Ruhe - beinahe.

Es ist dies der perfekte Zeitpunkt, um Joggen zu gehen. Irre, mag man denken, um diese Uhrzeit dem Körper diesen Schund anzutun. Einen kurzen Augenblick komme ich mir so verbissen vor wie Mitschüler, die einst mit dem Lehrer um ihre Noten feilschten. Aber entgangen wäre mir Folgendes: Die wenigen Menschen, die in solcher Frühe unterwegs sind, haben alle eins gemeinsam. Sie tragen viel zu große karierte Kurzarmhemden, die durch die hautengen, verwaschenen Jeans ihren Körper noch ausgezehrter erscheinen lassen. Die Hosen, nur festgehalten von einem im letzten Loch festgesteckten Ledergürtel, der älter ist als sie selbst und dessen überstehende Lasche ständig an der linken Hand vorbeischleif. Dazu in der Rechten: Eine vollgestopfte Einkaufstüte von (beliebigen) Discountern.

Sicherlich, so denke ich, hat der Berliner Senat im Sinne seines ausgefeilten Zivilschutzkonzeptes am gestrigen Abend eine SMS an alle Berliner Bürger geschickt, sie mögen bitte unbedingt zu Hause bleiben. Was auch immer gleich passieren wird, nur die Plastiktütenmänner und ich haben nichts mitbekommen. Das steht fest.

Für einen kurzen Augenblick also wird die Welt uns gehören. In den Tüten der Männer hoffentlich kein Badezusatz und keine Wurzelbürsten. So wie es aussieht werden wir den Weltuntergang mit Rex-Pils begießen.

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