Abgefackelt, abgerissen und bespuckt
Stimmung im Wahlkampf ist aggressiv, Zerstörungswut und Hass beeinträchtigen den demokratischen Wettstreit.
Der Mann – groß gewachsen, breites Kreuz – guckt böse. Dann spuckt er direkt vor dem Infostand aus, den die Sozialdemokraten im Berliner Stadtteil Buch aufgebaut haben. Wenig später kommt der vierschrötige Kerl zurück aus dem nahegelegenen Supermarkt, erneut rotzt er aus und sagt: »Dreckspack«, bevor er weiter trottet. »Das darf man nicht persönlich nehmen, sondern ist gegen unsere Partei gerichtet«, sagt Rainer-Michael Lehmann, der erneut als Abgeordneter für die SPD ins Abgeordnetenhaus einziehen will. Gemeinsam mit Toralf Ließneck, der für die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow kandidiert, ist Lehmann an diesem Freitag in Buch vor Ort. Jenem Stadtteil in Berlins Nordosten, der als Hochburg der rechtsextremen NPD gilt und in dem SPD-Mitglieder bereits in vergangenen Wahlkämpfen von Rechten fotografiert und sogar schon tätlich angegriffen wurden. Man sei einiges gewohnt, sagt Lehmann. Die Sozialdemokraten achten deshalb darauf, dass sie nicht in zu kleinen Gruppen unterwegs sind, sondern in ausreichender Zahl.
Bereits der Weg vom S-Bahnhof Buch bis zum SPD-Stand in der Fußgängerzone ist gesäumt von NPD-Plakaten. Exakt 14 aktive NPD-Mitglieder würden in Buch leben, die meisten seien polizeilich bekannt, sagt Lehmann. Wenn sie mobilisieren, könne der überschaubare Kern aber bis auf 80 Personen anwachsen. Bei ihren Anfeindungen belassen es die Rechten meistens bei verbalen Attacken. Doch auch einige Wahlplakate mussten die SPD-Wahlkampfhelfer schon ersetzen. So auch eines direkt vor dem Bürgerbüro Lehmanns, an der Laterne hing dann stattdessen ein NPD-Plakat. Auch Aufkleber finden sich regelmäßig an der Scheibe des Büros. Beeinflussen lassen will sich Lehmann davon nicht: »Ich stelle mich rechten Kräften entgegen, da lasse ich mich auch nicht einschüchtern«, sagt er. Trotz der rechten Problematik ziehen Lehmann und Ließneck eine positive Bilanz zum Wahlkampf: Die Reaktionen seien überwiegend positiv, ein Anstieg politischer Gewalt für sie nicht direkt wahrzunehmen, auch wenn die Stimmung immer aggressiver werde.
Die Situation der SPD-Wahlkämpfer in Buch ist im berlinweiten Vergleich zwar extrem, Gewalt im Wahlkampf ist in diesen Tagen aber ein Thema für viele Parteien. Besonders hervorstachen in einer Reihe von Vorfällen zwei Brandanschläge. Einer wurde auf ein Fahrzeug des CDU-Wahlkreiskandidaten Thilo-Harry Wollenschläger in Spandau verübt. »Das ist ein unerträglicher Anschlag auf eine demokratische Partei und ein neuer Tiefpunkt in der politischen Auseinandersetzung«, erklärte der CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel nach der Attacke Anfang August.
Im laufenden Wahlkampf gab es inzwischen einen zweiten Brandanschlag. In der vergangenen Woche traf es einen Wahlkampfbus der SPD in Lichtenberg. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. »Die Angriffe auf den Wahlkampf und damit auf Menschen, die sich in den meisten Fällen ehrenamtlich für unsere Demokratie engagieren, haben ein Maß erreicht, das unerträglich ist«, sagt SPD-Landeschef Michael Müller. Statt eines Streits in der Sache, der mit Worten ausgetragen werde, erlebe er Angriffe auf Büros von Abgeordneten, Pöbeleien unterster Schublade an Infoständen der Parteien und flächendeckende Beschädigung von Wahlplakaten.
Wie groß das Ausmaß der Gewalt und Einschränkungen im laufenden Wahlkampf ist, zeigen Zahlen der Polizei Berlin. Bis zum 20. August gab es 49 Fälle, in denen Plakate der AfD zerstört wurden. Der Spitzenkandidat der Rechtspopulisten. Georg Pazderski, kündigte mittlerweile an, 100 Euro für Hinweise zu bezahlen, mit denen Zerstörer von Wahlplakaten gefasst werden könnten. Die Wut trifft aber auch viele andere Parteien: Bei 40 Strafanzeigen ging es um die Zerstörung von CDU-Plakaten, in 30 Anzeigen um welche der Sozialdemokraten. Die LINKE wehrte sich mit zwölf Anzeigen, Grüne und FDP jeweils mit elf. Wie die Polizei mitteilte, wurden bis zum 20. August insgesamt 83 Verdächtige ermittelt. Wahlplakate abzureißen, ist kein Kavaliersdelikt: Neben Geldstrafen ist sogar eine Haftstrafe bis zu zwei Jahren wegen Sachbeschädigung denkbar.
Am Montag traf es unterdessen Wahlkämpfer der rechtspopulistischen Kleinstpartei »Pro Deutschland«, die in der Rigaer Straße in Friedrichshain von Unbekannten angegriffen wurden. Medien berichteten über vier leicht verletzte Pro-Deutschland-Unterstützer. In der Rigaer Straße gibt es zahlreiche linksradikale Hausprojekte. Die Polizei suchte am Montag zunächst die Umgebung nach mutmaßlichen Angreifen an, die die Rechten attackiert haben sollen. Dabei kam auch ein Hubschrauber zum Einsatz.
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