Abschiedskultur

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Den schnellen Wechsel von Volksverhetzung auf »Willkommenskultur« vor genau einem Jahr haben nicht nur die »Nachdenkseiten« als »beeindruckende Machtdemonstration der Meinungsführer« empfunden: Das selbe Personal (vom »Bild«-Redakteur bis zum Provinzpolitiker), das noch Tage vorher in jahrelanger Tradition gegen Flüchtlinge gewettert hatte, forderte nun Toleranz gegenüber den bedrängten Neuankömmlingen ein. Man kann (und muss!) diese radikale inhaltliche Kehrtwende zahlreicher Redakteure und Politiker im Falle der Flüchtlinge begrüßen - auch wenn sie nichts mit seriösem Journalismus oder Humanität, dafür aber viel mit Taktik zu tun hatte.

Viele Beobachter spürten jedoch bereits in dem Moment, in dem Angela Merkel »Wir schaffen das« aussprach, dass sich die damals mit breiter Brust und monarchischem Gestus verkündete deutsche Hilfsbereitschaft in kürzester Zeit in ihr Gegenteil verkehren würde. Und dort stehen wir nun: Die Flüchtlinge (auch durch Merkels willkürliche Anti-Dublin-Haltung zusätzlich auf Deutschland fixiert) kommen kaum noch hierher durch, sterben aber weiter. Und die reaktionären Redakteure und Politiker sind wieder genau da angekommen, wo sie vor ihrem kurzen und intensiven Ausflug in die »Willkommenskultur« losgelaufen waren: bei einer feindlichen Abschiedskultur und Forderungen nach innerer und äußerer »Sicherheit« - ohne dabei jedoch die NATO-Verbrechen in Irak, Libyen oder Syrien zu thematisieren (Fluchtursachen!) oder gar die für Fremdenfeindlichkeit entscheidende soziale Frage zu stellen. Tobias Riegel Foto: dpa

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