Wut, Symbole und Deutschfühlen

Politiker von sechs Parteien stellen sich in Neuköllner Moschee den Fragen von Muslimen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich möchte als Deutscher leben und mich auch so fühlen«, sagt Abdallah Massoud. »Ich möchte mich nicht immer rechtfertigen, wenn ein anderer Muslim etwas Schlimmes macht«, sagt der Apotheker. Über zehn Jahre habe er in Neukölln ohne Integrationsklassen gelebt. Eins wird deutlich: Massoud ist richtig wütend darüber, wie die Mehrheitsgesellschaft mit den Muslimen in Deutschland umgeht. Eine richtige Frage an die sechs Politiker auf dem Podium zu formulieren, das gelingt ihm in seiner Aufgebrachtheit nicht.

Doch im Publikumskontakt ist so etwas nicht unüblich. Und so antwortet Hikmet Gülmez etwas vage, dass man Eltern die Chance geben sollte, das ihre Kinder schnell deutsch lernen. Damit kann der Friedrichshain-Kreuzberger CDU-Kandidat sogar ein wenig punkten vor den über 100 anwesenden Gästen in der Neuköllner Dar Assalam-Moschee in der Flughafenstraße. Die Landeszentrale für politische Bildung und das Führungskräftenetzwerk Leadership Berlin haben es gemeinsam mit dem Moscheeverein möglich gemacht, dass am Freitag - zwei Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl - Kandidaten und Wähler miteinander sprechen können.

Einen guten Stand hat Irmgard Wurdack von der LINKEN. »Eine Offensive gegen Islamophobie fängt mit Aufklärung an, nicht mit dem Verfassungsschutz«, sagt sie. Der Moscheeverein NBS wird im Verfassungsschutzbericht erwähnt, es soll Kontakte zur Muslimbruderschaft geben. In Neukölln selbst wird der Verein sogar von den entsprechenden Kontaktbeamten der Polizei als engagiert und offen empfohlen. Wurdack spricht auch über die Wohnungsfrage, für die oft schlecht verdienenden Muslime ein brennendes Problem. Offene Türen rennt sie auch beim restlichen Podium ein mit der Forderung, das »angebliche Neutralitätsgesetz« abzuschaffen. »In Wahrheit ist es ein Kopftuchverbot.«

Damit ist sie auf einer Linie mit Susanna Kahlefeld von den Grünen, in der Abgeordnetenhausfraktion unter anderem für Partizipation und Religionspolitik zuständig, aber auch mit Alexander Spies von den Piraten. Auch Rainer-Michael Lehmann, Integrationsexperte der SPD, spricht sich für eine Abschaffung aus. »Das Neutralitätsgesetz muss fallen«, sagt er auf Nachfrage. »Wir als Fraktion haben das noch nicht ausdiskutiert«, räumt Lehmann allerdings ein.

Wolfgang Jockusch von der FDP ist in der Kopftuchfrage etwas zurückhaltender. Er verweist auf Länder wie Schottland oder Kanada, wo das religiöse Textil durchaus auch Teil von Uniformen sein kann. Er findet, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ein guter Vorreiter wären.

Hikmet Gülmez von der CDU antwortet sehr ausweichend. »Wir sollten diskutieren, wie mit diesem Symbol umgegangen wird«, sagt er. Nicht nur damit kommt er bei den potenziellen Wählern in der Moschee nicht gut an. Problematisiert werden auch die wiederholten verbalen Attacken von Parteifreunden gegen den Moscheeverein. Vor allem der Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wirft die CDU eine Hofierung von Islamisten vor.

Eingeladen zur Diskussion war auch die AfD. Eine ursprüngliche Zusage wurde schließlich wieder zurückgezogen. Mitschuld an den Erfolgen der Rechten gibt Susanna Kalefeld von den Grünen auch Giffeys Amtsvorgänger Heinz Buschkowsky. »Von diesem Bürgermeister ist die Botschaft wie eine Dampfwalze durch die Republik gegangen.«

Viele Themen werden in den zwei Stunden nur gestreift. Trotzdem findet Hamida Shamat, dass der Abend »sehr informativ« war. »Auf die wichtigsten Punkte sind sie gut eingegangen«, sagt die kopftuchtragende Abiturientin. Ursprünglich wollte sie Lehrerin werden. »Einerseits haben sich meine Interessen geändert, andererseits war mir klar, dass ich diesen Kindheitstraum mit Kopftuch momentan nicht umsetzen kann«, sagt sie. Jetzt will sie Zahnmedizin studieren. Ursprünglich wollte sie die SPD wählen. Nun tendiert sie zu FDP, LINKEN oder Piraten.

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