Bierpinsel besetzt: Protest gegen Leerstand in Berlin-Steglitz

Aktivisten besetzen das leerstehende Wahrzeichen und fordern Treffpunkte statt Büros – Straßenfest gegen Verdrängung

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Leerstand sichergestellt: Ein Aktivist sitzt, von Polizisten beobachtet, vor dem Berliner »Bierpinsel«, nachdem eine Besetzung von der Polizei geräumt wurde.
Leerstand sichergestellt: Ein Aktivist sitzt, von Polizisten beobachtet, vor dem Berliner »Bierpinsel«, nachdem eine Besetzung von der Polizei geräumt wurde.

Politische Parolen und kurze Reden waren am Samstagnachmittag über die Schlossstraße im Berliner Stadtteil Steglitz zu hören. Rund 50 Menschen hatten sich auf der Joachim-Tiburtius-Brücke zu einer Kundgebung versammelt. Von dort waren ihre Botschaften besonders gut in der Schlossstraße, einer Steglitzer Einkaufsmeile, zu hören. Die Brücke führt am sogenannten Bierpinsel vorbei, einem Anfang der 1970er Jahre von den Architekt*innen Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte erbauten Gebäude im futuristischen Stil.

Schlagzeilen machte der Bierpinsel in den letzten Jahren vor allem als Symbol für eine Berliner fehlgeleiteten Baupolitik. Das Gebäude steht seit 2006 leer, Asbestfunde, Rohrbrüche und Probleme mit dem Brandschutz verzögerten die Wiedereröffnung mit verschiedenen Konzepten. Millionen Steuergelder sind dort im Laufe der Zeit versickert. Der Begriff Pleitepinsel machte die Runde, immer wieder wechselte der emblematische Turm den Besitzer.

2021 wurde das Gebäude an einen Investor verkauft, der im Erdgeschoss der Freien Universität Räume geben will, darüber Büros und Gastronomie. Dagegen wenden sich die Besetzer*innen, die die Aktion über Wochen vorbereitet haben. »Berlin hat genug Büros. Wir brauchen nicht mehr. Was uns fehlt, sind Treffpunkte für die Menschen im Stadtteil. Die könnten in dem Gebäude entstehen«, sagt Sascha Müller von der Pressegruppe der Besetzer*innen. Er betont gegenüber »nd«, dass sie nicht mit einem fertigen Konzept angetreten sind. »Wir wollten mit unserer Aktion eine Diskussion anregen, was mit und diesen Räumen geschehen soll und deutlich machen, dass wir als Anwohner*innen in Berlin darüber entscheiden sollen, was gebaut wird«.

Grußbotschaft von Senior*innen aus der Stillen Straße

Tatsächlich stößt die Aktion bei den vielen Passant*innen in der Steglitzer Schlossstraße auf Zustimmung. »Es wird auch mal Zeit, dass das Gebäude besetzt wird. Das steht schon zu lange leer«, sagt eine ältere Frau aus der Nachbarschaft. Ein junger Mann, der ganz in der Nähe des Bierpinsel aufgewachsen ist, sagte zu »nd«: »Meine Mutter hat sich noch nie an einer politischen Aktion beteiligt. Aber sie findet die Besetzung gut«.

Auf der Schlossstraße blieben die Passant*innen stehen, als auf der Brücke über ihren Köpfen die Parole »Hoch mit den Löhnen, runter mit der Miete« skandiert wurde. Eine Frau ging in ihren Redebeitrag auch auf die unsicheren Renten ein und rief: »Die Reichen sollen zahlen«. Applaus gab es auch, als eine Grußadresse aus der Stillen Straße im Stadtteil Pankow am anderen Ende von Berlin verlesen wurde. Auch dort gab es am 18. Oktober einen Aktionstag, weil der Senior*innentreffpunkt wieder akut bedroht ist. Die Unterstützungserklärung wurde mit Applaus und der Parole »Pinsel besetzen – Kieze vernetzen« bedacht.

Straßenfest gegen Kürzungen und Leerstand

Zur Vernetzung verschiedener Berliner Mieter*innengruppen wurde ca. 200 Meter vom besetzten Gebäude von der Initiative Kieztauben ein Straßenfest gegen Kürzungen und Leerstand organisiert. Es fand vor dem Steglitzer Boulevard statt, einer Mall, in der auch zahlreiche Läden mittlerweile leerstehen. Dort hatte auch der Verein Nachbarschaftsinitiative Friedenau einen Stand, er über leerstehende gut erhaltene Häuser in Steglitz-Zehlendorf informierte. Darunter ist ein großes Eckhaus in der Odenwaldstraße, das seit Jahren leersteht.

Auch weitere Gebäude, unter anderem in der Morgensternstraße 25, dem Ostpreußendamm 31 und 171 und dem Gardeschützenweg 3 sind dort aufgeführt. Ein Mitglied der Nachbarschaftsinitiative erklärt gegenüber »nd«, das Straßenfest und die Besetzung seien getrennt voneinander vorbereitet worden. »Aber wir beziehen uns solidarisch aufeinander«. Gegen 18 Uhr wurden die letzten Besetzer*innen von der Polizei aus dem Bierpinsel geräumt, nachdem der Eigentümer Anzeige erstattet hat. Doch auch danach war die Stimmung keineswegs gedrückt. » Die Diskussion über Leerstand, Verdrängung und hohen Mieten wird jetzt auch in Steglitz geführt« ist Sascha Müller von der Presse-AG überzeugt.

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