Berlin: Verfassungsfeinde im Staatsdienst

Berliner Grüne wollen Verfassungs­treue von AfD-Politikern im öffent­lichen Dienst prüfen

  • Laura Meng
  • Lesedauer: 5 Min.
Polizeikräfte im Innendienst
Polizeikräfte im Innendienst

»Wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat nichts im Staatsdienst verloren«, sagt Ario Mirzaie. Er meint damit AfD-Mitglieder bei der Berliner Polizei. Mit einem Antrag im Abgeordnetenhaus will Mirzaies Grünen-Fraktion die Verfassungstreue von aktiven AfD-Mitgliedern im öffentlichen Dienst überprüfen lassen. Am Mittwochabend hatte die Fraktion zu einem Fachgespräch ins Parlament eingeladen.

Besondere Beachtung fanden dabei Polizeibeamte mit rechtsextremer Gesinnung und Nähe zur AfD. Im vergangenen Jahr standen etwa 400 Polizeibeamte der Bundesländer unter Rechtsextremismus-Verdacht. Zugleich finden sich auf AfD-Wahllisten immer wieder Kandidat*innen, die aktiv im Polizeidienst waren oder es noch sind. Die Polizei der Bundesländer zählt insgesamt 240 000 Beschäftigte, in Berlin sind es 27 000. Die Grünen wollen eine systematische Überprüfung nicht nur für Polizeikräfte. Alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die ein Mandat oder Amt für die AfD ausüben, sollen auf ihre Verfassungstreue hin befragt werden.

Während die Bundes-AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bereits als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, gibt es in den einzelnen Ländern Unterschiede. Die Landesverbände in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt etwa gelten ebenfalls als rechtsextrem. Mirzaie, für den nicht nachvollziehbar sei, warum eine solche Einstufung in Berlin noch nicht erfolgt ist, hält eine Überprüfung auf Verfassungstreue auch für ein politisches Signal.

Der geladene Experte Felix Hanschmann sieht in einer AfD-Mitgliedschaft alleine noch keine juristische Grundlage für einen Ausschluss vom Dienst, jedoch sei dies Grund genug, bei der jeweiligen Person genauer hinzuschauen. Der Verfassungsrechtler von der Hamburger Bucericus Law School schlägt vor, schon viel früher auf Beobachtung und Nachfrage zu einer potenziellen rechtsextremen Gesinnung zu setzen, nämlich bereits beim Bewerbungsgespräch, aber auch während der Ausbildung und bei der Amtsernennung. Hier müsse man genau hinsehen. Denn: »Niemand würde mit SS-Runen auf der Kleidung zum Bewerbungsgespräch kommen.«

Gerade erst ist die Polizei-Fachhochschule Aschersleben in Sachsen-Anhalt aufgefallen. Hier sollen einer Zeugenaussage zufolge bei einer Feier Polizeianwärter*innen auf Gigi D’Agostinos »L’amour toujours« gegrölt haben: »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!« Die Ermittlungen dauern derzeit noch an.

»Wir haben leidvolle Erfahrungen gemacht rund um den NSU, aber auch mit Blick auf den Neukölln-Komplex hier in Berlin.«

Ario Mirzaie Grüne

In ihrem Antrag zur Prüfung der Verfassungstreue fordern die Grünen neben einem Ausbau von Beschwerde- und Meldestrukturen im öffentlichen Dienst auch eine strukturelle Prüfung der Verfassungstreue von AfD-Mitgliedern. Hanschmann betont, eine Amtsfunktionsbetrachtung müsse intelligent, rechtskonform und rechtssicher gestaltet werden. Was nicht gehe, sei die Abfrage einer AfD-Zugehörigkeit bei der Ernennung. Selbst wenn die Partei auch in Berlin als rechtsextrem eingestuft werde, müsste hier gut begründet werden, warum nicht auch die Zugehörigkeit zu anderen vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigungen aus dem linken und zivilgesellschaftlich engagierten Spektrum abgefragt werde.

Im Verlauf der Diskussion kommt immer wieder die Sorge auf, dass sich ein Vorgehen gegen Rechtsextremismus auch gegen linke Vereinigungen und zivilgesellschaftliches Engagement richten könnte. Fälle dieser Art gab es in der jüngsten Vergangenheit einige, zum Beispiel den der angehenden Lehrerin Lisa Poettinger. Ihr wurde vom Freistaat Bayern die Zulassung zum Referendariat wegen ihres klimaaktivistischen Engagements verweigert.

Der Berliner Senat schweigt unterdessen zur nicht unwahrscheinlichen Bestätigung der rechtsextremistischen Prägung der Bundes-AfD. Zu diesem Schluss war das Bundesamt für Verfassungsschutz gekommen. Die Partei hatte dagegen geklagt. Bis zu einem Urteil hat der Verfassungsschutz eine sogenannte Stillhaltezusage gegeben, womit er davon absieht, die Einstufung öffentlich zu kommunizieren. »Ich kann nur vermuten, dass der Senat sich hinter dieser Stillhaltezusage versteckt, weil das Thema Rechtsextremismusbekämpfung generell in den letzten zweieinhalb Jahren nicht die höchste Priorität hatte und das somit weiterhin als Randnotiz in dieser Koalition läuft«, äußerte Mirzaie gegenüber »nd«.

Die Folgen einer bundesweit fehlenden klaren Kante gegen Rechtsextremismus seien offensichtlich. »Wir haben leidvolle Erfahrungen gemacht rund um den NSU, aber auch mit Blick auf den Neukölln-Komplex hier in Berlin«, merkt Mirzaie an.

Rechtswissenschaftler Hanschmann betont, dass die juristischen Hürden für die Einstufung einer Partei als gesichert rechtsextrem deutlich geringer seien als die für ein Parteiverbot. Dennoch ist Mirzaie überzeugt: »Ich schätze die Chancen eines AfD-Verbotsverfahrens als sehr gut ein.« Zur Einleitung eines Verbotsverfahrens hat die Grünen-Fraktion ebenfalls einen Antrag gestellt. »Natürlich werden durch ein AfD-Parteiverbotsverfahren rechte Einstellungen und rechtsextreme Ideologien nicht verschwinden. Aber es würde Rechtsextremen sehr viel schwieriger gemacht werden, sich zu organisieren, Geld zu erhalten, um ihre Propaganda zu verbreiten«, so Mirzaie.

Viele Stimmen sehen im Rechtsextremismus in den Behörden – gerade bei der Polizei – ein strukturelles Problem und stehen einer Reformierung kritisch gegenüber. So schreibt etwa die Initiative »Gerechtigkeit für Lorenz«: »Insbesondere die Polizei, deren grundsätzliche Aufgabe in der Aufrechterhaltung der bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse besteht, ist von Rassismus durchsetzt.« Einzelne Polizist*innen aus dem Dienst zu entfernen oder für eine diverse Polizei und für Awareness zu sorgen, reiche nicht. Das dahinterliegende System müsse bekämpft werden, so die Initiative. Lorenz ist der Name eines jungen schwarzen Deutschen, der in Oldenburg von der Polizei erschossen wurde.

Wie er gegenüber »nd« äußert, glaubt Mirzaie an die Überwindbarkeit des Problems. Er sagt: »Die Polizei muss reformfähig sein, reformfähig bleiben – und wir wissen aus der Polizeiforschung, es gibt da viele Baustellen, und die müssen angegangen werden, damit wir eine breite Akzeptanz auch der Polizeiarbeit in der Gesellschaft gewährleisten können.«

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