Laptopdeckel zu, Piratenfraktion tot

Berliner Piraten verabschieden sich wohl aus dem Abgeordnetenhaus

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Abgeordneten stehen auf, bringen ihre gelben und blauen Ja-Nein-Abstimmungskugeln zum letzten Mal in die gelbe Kiste, klappen ihre Laptopdeckel zu und gehen. Es ist die letzte Sitzung der Berliner Piratenfraktion, bevor am 18. September gewählt wird. 40 Minuten dauert sie, vermutlich die kürzeste Sitzung ihrer Geschichte. Bis auf den allgemeinen Beifall, als Wolfram Prieß verkündet, er habe geheiratet, ist es ein wenig emotionaler Abschied.

»So wie wir angefangen haben, hören wir auch auf«, sagt Heiko Herberg, Parlamentarischer Geschäftsführer. Fünf Jahre haben die 15 Piraten gemeinsam im Abgeordnetenhaus gesessen. Anfangs haben sie viel gestritten, 2014 nochmal versucht, sich zusammenzuraufen, dann gaben sie auf. Und seitdem »haben wir besser zusammengearbeitet als jemals zuvor«, sagt Herberg. Nachdem das Projekt Berliner Piratenfraktion gescheitert war, haben die einzelnen Abgeordneten sich auf ihre Fachkompetenz fokussiert und gearbeitet.

Am besten symbolisiert dies vermutlich der Bericht des Untersuchungsausschusses zum BER, dem Flughafen, dessen Eröffnungstermin zehn Jahre nach dem ersten Spatenstich noch immer nicht feststeht. Dem Abschlussbericht fügten Grüne und LINKE lange Sondervoten an. Das dritte Sondervotum aus den Reihen der Oppositionsfraktionen kam im Juni aber nicht von den Piraten, sondern von Fraktionsmitglied Martin Delius, der den Untersuchungsausschuss geleitet hatte. Nicht alle seiner Kollegen fanden das gut. »Würde die Legislatur jetzt noch länger laufen müsste man @martindelius abwählen, aber auf den Stress hat jetzt auch keiner mehr Bock«, schrieb der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Christopher Lauer, damals auf Twitter.

Auch in diesem Konflikt ging es nicht um politische Inhalte, sondern um persönliche Aversionen und die Art, wie miteinander kommuniziert wurde. Dabei kann gerade der Untersuchungsausschuss auch als Symbol dienen für die gute Arbeit, die die Fraktion im Berliner Parlament geleistet hat. Angetreten waren die Piraten mit dem Ziel, das Parlament transparenter zu machen. Für Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Fraktion, hat die Fraktion in der Richtung auch einiges bewegt: »Wir haben dafür gesorgt, dass Schriftliche Anfragen der Abgeordneten innerhalb von drei Wochen beantwortet werden müssen. Vorher gab es keine Frist«, sagt Reinhardt und zählt weiter auf: »Durch uns gibt es jetzt Aktenpläne. Bisher musste man in den Leseraum gehen, um Akten vor Ort einsehen zu können. Jetzt müssen sie digitalisiert online stehen.« Fabio Reinhardt schlüsselt auf seiner Homepage auch detailliert auf, wann er sich mit welchen Vertretern von Vereinen, Verbänden oder Unternehmen getroffen hat. Gefragt habe ihnen nach seinen Kontakten noch nie jemand. Seine Schlussfolgerung: »Ich habe nicht das Gefühl, dass das einen großen Nutzen für die Öffentlichkeit hat.«

Das aber sieht Reinhardt als erste Aufgabe eines Abgeordneten an: einen Mehrwert für die Bürger schaffen, informieren und kritisch nachfragen. Große Veranstaltungen zu organisieren hält er in dem Sinne für wenig nützlich. Schriftliche Anfragen zu stellen für umso mehr: Weil sie übersichtlich seien und einen großen Informationsgehalt aufwiesen. Wie viele Anfragen er selbst in den vergangenen fünf Jahren gestellt hat, weiß er nicht. Aber er ist auf jeden Fall ganz oben mit dabei. Aufgedeckt hat die Piratenpartei mit diesem Instrument beispielsweise im Frühjahr 2015, dass der Senat mit nur wenigen Betreibern von Flüchtlingsheimen Verträge abgeschlossen hatte. In der Antwort des Senats sah die Zahl zwar nicht ganz so schlecht aus. Aber das sei Ergebnis der Arbeit seiner Fraktion gewesen, meint Reinhardt. »Bei Akteneinsicht habe ich anschließend festgestellt, dass mehrere Verträge kurz nach Eingang unserer Frage abgeschlossen worden waren.«

Reinhardt ist Direktkandidat für die Piraten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Ob er sich Chancen ausrechnet? »Wenn die Piraten in den Umfragen noch so gut dastünden wie vor den letzten Wahlen, dann hätte ich eine Chance gehabt.« Doch davon liegt sie weit entfernt. Mit 8,9 Prozent zog die Partei vor fünf Jahren ins Parlament ein, in Friedrichshain-Kreuzberg kamen sie sogar auf 14,7 Prozent. Mittlerweile wird sie von den meisten Umfrageinstituten gar nicht mehr gesondert aufgelistet. Bei den anderen dümpelt sie zwischen einem und drei Prozent vor sich hin.

Als Teil der Bundespartei sieht sich Reinhardt nicht mehr, als Teil der Berliner Piraten nur bedingt. 2014 habe er nochmal einen Neuanfang angeregt. »Dass ein paar Köpfe gute Arbeit leisten, reicht nicht.« Man brauche ein Ziel, um das man eine Geschichte spanne. Sein Antrag, die Partei für andere Akteure zu öffnen und auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen, sei zwar beim Landesparteitag angenommen, aber nie realisiert worden.

Austreten war für Reinhardt trotzdem keine Option. »Dann hätte ich auch aus der Fraktion austreten müssen, das wäre sonst zu verwirrend für die Wähler.« Übersichtlichkeit ist ihm wichtig. Stattdessen macht er jetzt im Bezirk seinen eigenen Wahlkampf. PRTXHN lautet der Slogan. Sein Wahlplakat zeigt ihn zusammen mit dem Spruch: »Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt«. Seine Art, Kante zu zeigen gegen Rassismus und Rechtspopulismus. »Ein bisschen pathetisch«, gibt er zu.

Dass die Piratenpartei in der kommenden Legislaturperiode noch im Parlament vertreten sein wird, glaubt allerdings auch Reinhardt nicht mehr. Er plant eine berufliche Umorientierung: Mit Kollegen will er eine Unternehmensberatung zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten gründen. Firmen, die Flüchtlingen Jobs anbieten wollen, können sich dann an ihn und seine Kollegen wenden, um die »Strukturen zu schaffen, damit sich Flüchtlinge dort wohlfühlen«. Das meint nicht nur, aber auch eine Beratung zu Interkulturalität. Eigentlich ist Reinhardt Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Aber: »Von irgendetwas muss man leben«, sagt Reinhardt. Um aus der prekären Abhängigkeit vom Staat herauszukommen und erst einmal Fuß zu fassen, hält er Arbeit eben auch für Flüchtlinge zunächst für ein notwendiges Instrument.

Die Fraktionssitzung am Dienstag war für Reinhardt aber nicht das Ende seiner Legislaturperiode. Am Donnerstag tagt ein letztes Mal vor der Wahl das Parlament, und am Freitag feiert Reinhardt Abschied von seinem Büro. Das teilt er sich mit Oliver Höfinghoff. Der hatte bereits 2014 die Partei verlassen, wie andere Abgeordnete blieb er aber Teil der Fraktion. Höfinghoff wandte sich der Linkspartei zu. Auch Lauer ist nicht mehr Pirat, Medienberichten zufolge will er zur SPD wechseln. Auch Herberg fühlt sich mittlerweile in der SPD beheimatet. Er teile ihre »grund-sozial-konservative Haltung«. Dazu passt sein Berufswunsch: Beamter im Finanzamt.

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