Das Kreuz mit dem Gipfelkreuz

Wer attackiert in den bayerischen Alpen gezielt Bergsymbole - und wer stellt welche auf?

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Gut zweieinhalb Stunden dauert der Aufstieg von bayerischer Seite aus hinauf zur Tölzer Hütte in 1880 Metern Höhe. Eine Tour über steile Forstwege, kleine Wiesenpfade und einen Steig. Und dann geht es noch eine weitere Stunde bis zum Gipfel des Schafreuter (2102 Meter). Von hier oben reicht der Blick weit bis auf den Karwendelhauptkamm und die Bayerischen Voralpen. Und hier stand bis vergangenen Sonntag auch ein Gipfelkreuz. Ein bisher Unbekannter hat es offenbar mit einer Axt attackiert - schon zuvor waren zwei Gipfelkreuze in den bayerischen Alpen bei Bad Tölz umgelegt worden.

Ja, das sei natürlich ein Thema unter den Bergwanderern, sagt Michael Bubeck. Er betreibt die Tiroler Hütte auf der österreichischen Seite des Berges - die Grenze zu Deutschland verläuft genau über den Gipfel. Der örtliche Alpenverein hat jetzt eine Belohnung für die Ergreifung des Täters ausgeschrieben.

Seit neun Jahren führt Bubeck sommers die Hütte, 70 Übernachtungsplätze gibt es, das Gulasch kostet elf Euro. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagt der 51-Jährige. Das erste Holzkreuz wurde um Pfingsten herum bei der Dudl-Alm im Längental umgehackt. Am letzten Juli-Wochenende schlug der Unbekannte dann am Prinzkopf, einem Gipfel neben dem Schafreuter, zu. Dabei wurde er von zwei Hirten beobachtet, die Polizei wurde benachrichtigt. Jetzt rätselt die einheimische Bevölkerung über die Motive des Täters, nach Augenzeugen ein Mann mittleren Alters mit dunklen Haaren. »Das macht einen ratlos, weil man nicht weiß, was da dahintersteckt«, meint Bubeck. Doch damit nicht genug: Plötzlich steht an gleicher Stelle auf dem Schafreuter ein neues Kreuz - und führt zu neuer Verwirrung.

Eine erste These über den Gipfelkreuz-Hacker brachte Josef Mayr, Vize-Chef der Polizeiinspektion Bad Tölz ins Spiel. Er stieß bei seiner Recherche im Internet auf die Freidenker-Vereinigung in der Schweiz, die sich gegen religiöse Symbole im Öffentlichen Raum ausspricht. Auch Bergsteiger-Idol Rheinhold Messner bekannte in einem Interview, er finde religiöse oder weltanschauliche Symbole auf Berggipfeln unpassend. Ob derartige Motive auch auf den Gipfelkreuz-Hacker zutreffen, ist ungeklärt, Hinweise gibt es nicht.

Die Polizei hofft nun auf aufmerksame Bergwanderer, die verdächtige Wahrnehmungen melden sollen. Dann könne man mit dem Hubschrauber schnell zur Stelle sein, erklärt Mayr. Eine Überwachung der Gipfelkreuze sei der Polizeiinspektion nicht möglich. Vom Delikt her handele es sich um Sachbeschädigung, im Fall des Schafreuter-Gipfels mit einem Schaden von 5000 Euro.

Der Berg-Vandalismus wirft einige Fragen auf. Zum Beispiel: Braucht es für das Aufstellen eines Gipfelkreuzes eine Genehmigung? Und wer stellt die aus? In der zuständigen Gemeinde Lenggries heißt es dazu, bisher sei man mit einer derartigen Genehmigung noch nicht befasst gewesen. Auch beim Sachgebiet 32 - Öffentliche Sicherheit und Ordnung - des Landratsamtes in Bad Tölz findet man die Frage »interessant«, hat aber mit Gipfelkreuzen nicht wirklich etwas zu tun. Schließlich hilft ein Blick in die Bayerische Bauordnung, Artikel 57, Absatz 1, Nr. 16, Buchstabe D: Danach sind »Grabdenkmale auf Friedhöfen, Feldkreuze, Denkmäler und sonstige Kunstwerke jeweils mit einer Höhe bis zu 4 m« frei von einer Genehmigung.

Das Gipfelkreuz stellt also einen relativ behördenfreien Gegenstand dar. »Gelebte Realität« nennt das Thomas Bucher, Sprecher des Deutschen Alpenvereins. Das Kreuz gehöre mittlerweile zur Tradition, sei zu einem »selbstverständlichen Inventar der Berge« geworden. Das erste dieser christlichen Symbole sei 1799 auf dem Großglockner errichtet worden, von einem österreichischen Bischof. Seitdem sei es vor allem im Bereich der Ostalpen weit verbreitet.

»Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch auf weniger prominenten Gipfeln Kreuze aufgestellt«, sagt Bucher, oft von Kriegsheimkehrern, die sich so für ihr Überleben bedanken wollten. Und wem gehören nun eigentlich die Gipfelkreuze? Bucher: »Das sind Leute, die mit dem Ort verbunden sind.« Zum Beispiel der Trachtenverein oder die Feuerwehr. Aber auch regionale Abteilungen des Alpenvereins: Das Scharfreuter-Kreuz etwa wurde vor 13 Jahren von der Sektion Bad Tölz errichtet.

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