Smith, Marx, Keynes

Ulrike Herrmann im Gespräch darüber, warum kein Kapitalismus auch keine Lösung ist

  • Lesedauer: 4 Min.

Was können heutige Leser von Autoren wie Smith, Marx und Keynes lernen?
Das Wesentliche. Alle drei Ökonomen haben gesehen, dass der Kapitalismus ein dynamisches System ist, das global ist, auf Technik beruht und nicht an den eigenen Landesgrenzen halt macht. Alle drei haben beschrieben, dass Machtfragen wichtig sind. Smith hat als erster Ökonom erkannt, dass Unternehmer und Angestellte zwei verschiedene Klassen sind. Marx hat herausgearbeitet, wie bedeutsam die Technik ist - und dass sie automatisch dazu führt, dass am Ende nur noch Großkonzerne übrig bleiben. Keynes hat dann die Finanzmärkte und die Spekulation ins Zentrum gerückt.

Was stört Sie an der sogenannten Neoklassik?
Die Neoklassik dominiert heute alle Lehrstühle. Leider tut dieser Ansatz so, als würden wir in einer fiktiven Tauschwirtschaft wie im Mittelalter leben. Das ist kein Witz. Großkonzerne, Maschinen, Investitionen oder Kredite spielen in dieser Theorie keine zentrale Rolle. Selbst Gewinne und Geld fehlen. Stattdessen wird in den Modellen angenommen, dass wir jeder wie Robinson Crusoe allein auf einer einsamen Insel leben würden.

Wo sehen Sie die besonderen Verdienste von Adam Smith?
Smith hat die moderne Volkswirtschaftslehre begründet. Vor ihm gab es vor allem die »Hausväterliteratur«: In Ratgebern wurde alles abgehandelt, was ein männlicher Familienvorstand wissen musste - von der Viehzucht bis zur Kindererziehung. Adam Smiths Klassiker »Der Wohlstand der Nationen« von 1776 bedeutete eine gedankliche Revolution. Zum ersten Mal wurde die Wirtschaft als ein eigenes Themengebiet verstanden. Zudem hat Smith schon damals jene Fragen gestellt, die noch heute wichtig sind: Wie entsteht Wachstum? Warum sind die Arbeiter arm und die Unternehmer reich? Welche Rolle spielt die Ausbeutung in den Kolonien und bei der Sklaverei? Ist die Globalisierung eine Gefahr? Auch seine Antworten sind bis heute aktuell: So hat Smith bereits vor 250 Jahren ganz klar erkannt, dass es nichts mit der Intelligenz oder »Leistung« des Einzelnen zu tun hat, ob jemand Arbeiter, Philosoph oder Unternehmer wird - sondern dass die Herkunft entscheidet. Daher war er für eine progressive Einkommenssteuer und eine allgemeine Schulpflicht, was damals revolutionär war und erst hundert Jahre später eingeführt wurde. Smith wird von den Neoliberalen gern als ihr Stammvater betrachtet, aber das ist ein völliges Missverständnis. Würde Smith heute leben, wäre er wahrscheinlich Sozialdemokrat.

Was sind die Verdienste von Karl Marx?
Wie kein anderer Ökonom hat Marx konsequent in dialektischen Prozessen gedacht. Er hat also die Dynamiken und auch die Paradoxien des Kapitalismus genau auf den Punkt gebracht. Dazu gehört etwa die Erkenntnis, dass es mitten im Überfluss periodisch zu Krisen kommt. Oder dass der Wettbewerb notwendig im Oligopol endet, sich also selbst abschafft - weil jede Firma so lange ihre Produktion vergrößert, bis nur noch wenige Großkonzerne übrig bleiben, die dann ihre Branchen beherrschen. Der Kapitalismus ist also gerade keine »Marktwirtschaft«, in der viele kleine Firmen miteinander konkurrieren. Marx hat auch als Erster klar beschrieben, dass es den Besitz per se nicht gibt, sondern dass das Vermögen nur erhalten bleibt, wenn ständig investiert wird. Zudem hat er verstanden, wie entscheidend die Technik ist. Maschinen sind nicht nur Hilfsmittel der Produktion, sondern technische Innovationen definieren den Kapitalismus.

Und die Verdienste von John Maynard Keynes?
Keynes hat das Geld in die Ökonomie integriert. Bis dahin galt das Geld als »neutral«; es wurde angenommen, dass es wie ein »Schleier« über der Wirtschaft liegen würde. Erst Keynes hat gezeigt, dass das Geld zwar »aus dem Nichts« entsteht, dass es aber trotzdem die treibende Kraft ist. Denn im heutigen Kapitalismus wird an den Finanzmärkten entschieden, ob es sich lohnt, in »echte« Firmen zu investieren - oder ob es sich stärker rentiert, einfach nur zu spekulieren. Keynes war übrigens dafür, das »Finanzkasino« (der Begriff stammt auch von ihm) wieder zu schließen. Zudem hat Keynes ein völlig neues Fach innerhalb der Volkswirtschaftslehre erfunden - die sogenannte »Makroökonomie«. Er entdeckte, dass die Gesamtwirtschaft mehr ist als nur die Summe ihrer Teile. Er interessierte sich daher nicht für den einzelnen Haushalt oder das einzelne Unternehmen - sondern konzentrierte sich auf »Gesamtaggregate« wie Investitionen oder Konsumausgaben. Dies führte dann auch zum »Bruttoinlandsprodukt«, heute die wichtigste Zahl in der Ökonomie, die ebenfalls eine Erfindung von Keynes ist.

Der Titel Ihres Buches »Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung« klingt verwirrend. Was ist denn die Lösung?
Der Titel ist ironisch gemeint und zielt auf die Mainstream-Ökonomie, die den Kapitalismus ignoriert und sich in die heile Welt der Wochenmärkte zurückzieht, wo Äpfel und Birnen getauscht werden. Das ist nicht nur absurd, sondern auch enorm teuer. Die letzte Finanzkrise hat weltweit Billionen von Euro gekostet. Dieser Crash wurde nur möglich, weil Krisen in der Neoklassik nicht vorkommen. Daher muss man zu Smith, Marx und Keynes zurückkehren, wenn man verstehen will, wie der real existierende Kapitalismus funktioniert.

Ulrike Herrmann: Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie oder: Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können. Westend Verlag, 288 S., 18 €.

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