Schmieden in den Feuern des Fortschritts

ASEAN-Treffen in Vientiane war geprägt von Konsensstreben und optimistischem Realismus

  • Alfred Michaelis, Vientiane
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist nicht alles nur Obama, wenngleich der erste Besuch eines US-Präsidenten in der laotischen Hauptstadt den Gipfel der ASEAN-Länder zumindest in der medialen Wahrnehmung in den Schatten stellt. Eigentlich sind es ja gleich zwei Gipfeltreffen der ASEAN, die die Staats- und Regierungschefs der zehn Mitgliedsländer in Vientiane zusammenbringen. Die Gipfel Nummer 28 und 29 in der ASEAN-Zählung.

Stand die Konferenz unter dem Motto »Von der Vision zur Realität, für eine dynamische ASEAN-Gemeinschaft«, so wird nun auch die Wortwahl etwas forscher, denn künftig gilt es, den Fortschritt gemeinsam zu schmieden (»Forging ahead together«). Als Zeithorizont wird das Jahr 2025 genannt. Die Ende 2015 offiziell verkündete ASEAN-Wirtschaftsgemeinschaft wird in dieser Zeit immer stärker durch die politische und Sicherheitsgemeinschaft sowie die sozio-kulturelle Gemeinschaft ergänzt werden. Ein anspruchsvolles Ziel, denn damit soll zusammenwachsen, was auf den ersten Blick gar nicht zusammen passt.

Anders als Europa besteht die ASEAN-Gemeinschaft aus Ländern, die gegensätzlicher kaum sein können. Politisch zieht sich das Spektrum von neu belebter demokratischer Neigung wie in Myanmar und in Indonesien über autokratische Regimes und Militärherrschaft (Thailand) bis zum Einparteiensystem realsozialistischer Prägung wie in Laos und Vietnam. Staatsformen wie Sultanat (Brunei), konstitutionelle Monarchie (Kambodscha), Republik (Indonesien) und Volksrepublik (Laos) geben ein ebenso buntes Gemisch wie die Spannbreite wirtschaftlicher Entwicklung von den ärmsten bis zu einem der reichsten Länder der Erde. So ist das Bruttosozialprodukt Singapurs pro Kopf rund 50 Mal höher als das von Myanmar. Islamische Kulturen von strikter bis moderater Ausprägung, darunter mit Indonesien das bevölkerungsreichste muslimische Land der Erde, finden sich ebenso wie Staaten, in denen islamische Minderheiten gegen buddhistische (Thailand) oder katholische Mehrheiten (Philippinen) zu Felde ziehen. Insgesamt 620 Millionen Einwohner leben in den zehn Ländern, auch hier ein breites Spektrum vom gerade einmal 420 000 Einwohner zählenden Brunei bis zu Indonesien mit fast 250 Millionen. Eine Gemeinschaft der Gegensätze, könnte man meinen.

Um diese weiter abzubauen beschloss der Gipfel das ASEAN-Verbindungsprogramm, das neben dem Ausbau der physischen Infrastruktur auch digitale Innovation, Beschleunigung der Transportabläufe zwischen den Mitgliedsländern und Verbesserung im Personenverkehr von zunehmendem Tourismus bis hin zum Austausch von Studenten vorsieht. Der Überwindung des Gefälles in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den alten ASEAN-Mitgliedern und den später hinzugekommenen Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam widmet sich der nun schon dritte Integrationsplan, der spezielle Unterstützung für die sogenannten CLMV-Länder vorsieht. Die Vorhaben sind anspruchsvoll. Der Optimismus, dass sie gelingen können, gründet sich vor allem auf das anhaltend hohe Wirtschaftswachstum der Gemeinschaft von jährlich rund 4,5 Prozent mit überdurchschnittlichen Raten der CLMV-Länder. Die ASEAN-Region als Ganzes steht als weltweit sechstgrößte Volkswirtschaft nach den USA, China, Japan, Deutschland und Großbritannien in den Statistiken.

Das Erfolgsrezept der ASEAN beruht darauf, dass Entscheidungen im Konsens getroffen werden und Einmischung in innere Angelegenheiten untereinander tabu sind. So werden Gemeinsamkeiten betont und Differenzen nicht selten überdeckt. Das hält ein manchmal fragiles Gleichgewicht, das aber auch vor Vereinnahmungen schützt. Kritisieren westliche Mächte etwa die Aussagen der Gemeinschaft zu den Spannungen um das Südchinesische Meer, wo Ansprüche von mehreren Mitgliedsländern gegen die der Volksrepublik China stehen, als zu zurückhaltend, so zollt diese Form der Realpolitik auch der Tatsache Rechnung, dass China nicht nur der bedeutendste Handelspartner der ASEAN ist, sondern nicht zuletzt über den ASEAN-Plus-Mechanismus eng mit der Gemeinschaft verflochten. In Vientiane fand der 19. ASEAN-China-Gipfel statt, der den 25. Jahrestag der engen Beziehungen beging und unter anderem 2017 zum ASEAN-China-Tourismus-Jahr ausrief.

Dennoch stellen auch ihre Außenbeziehungen die ASEAN vor einen Zerreißtest. Das neuerlich verstärkte, offensichtlich gegen eine weitere Ausweitung des chinesischen Einflusses gerichtete Engagement der USA in der Region mit einem neuen Stützpunktabkommen mit den Philippinen und verstärkter militärischer Zusammenarbeit mit Singapur, Indonesien und selbst Vietnam steht den engen Verbindungen speziell von Kambodscha und Laos zu China gegenüber. Grund genug, dass auch die ASEAN-zentrierte Ausrichtung der Mitgliedsländer immer wieder betont, fast schon beschworen wird.

Bisher trotzt das Staatenbündnis allen Unkenrufen und setzt weiter auf den Kurs, das eigentlich Unvereinbare zu vereinen. Der neue Slogan vom Schmieden lässt aber auch noch manchen Hammerschlag erwarten.

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