Gipfeltouren im Internet locken Unerfahrene

Alpenverein stellte Bergunfallstatistik vor - Helfer beklagen zunehmenden Leichtsinn auch in Mittelgebirgen

  • Sabine Dobel, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Himalaya ist es der Mount Everest - in Deutschland heißen sie Zugspitze und Watzmann. »Prestigeberge« ziehen immer mehr Menschen an. Zunehmend sind Ungeübte dabei. Viele Touren gerade zu berühmten Gipfeln sind mit einem Klick im Internet zu finden. Bilder bei strahlendem Sonnenschein und Beschreibungen teils von Hobby-Bergsteigern spiegeln oft nicht die tatsächlichen Gefahren.

Das virtuelle Besteigung der Zugspitze sei eine einfache Sache; mancher denke: »Das ist super, das gefällt mir, da geh' ich auch hin«, sagt Stefan Winter, Ressortleiter Breitensport beim Deutschen Alpenverein (DAV). »Aber die Berge sind kein Fake. Es sind wirklich echte Naturerlebnisse, verbunden mit echten Naturgefahren.«

Als »Juwel unter den alpinen Bergtouren« mit »großartigen Ausblicken« wird etwa der Jubiläumsgrat zwischen Zugspitze und Alpspitze im Internet gepriesen. Dass auch alpine Erfahrung und Ausdauer gefragt sind, mag der eine oder andere überlesen. Der Sprecher der Bergwacht Bayern, Roland Ampenberger, warnt: »Bergsteigen ist kein Videospiel.«

Die Zahl der DAV-Mitglieder, die weltweit auf Touren in Not gerieten, steigt seit den 1990er Jahren leicht an. »Es trifft vor allem die Unerfahrenen und die diejenigen, die nicht die passenden Touren auswählen«, erläuterte der DAV bei der Vorlage der jüngsten Unfallstatistik.

Anfang September musste die Bergwacht in Berchtesgaden drei ausländische Studenten am Kleinen Watzmann retten. Das Trio war um 15 Uhr aufgebrochen - »eine völlig indiskutable Zeit für ein solche Tour«, sagt Ludwig Lang, Geschäftsführer der Bergwacht im Chiemgau. Die Gruppe geriet in unwegsames Gelände, einer stürzte 40 Meter ab und wurde schwer verletzt. Tief in der Nacht konnte die Bergwacht die drei Studenten bergen.

»Ein massives Problem sind die Touren, die im Internet sichtbar sind. Die Leute lesen das und meinen, das geht leicht«, sagt Lang. Im Jahr zuvor hatte sich ein Dutzend Studenten aus Indonesien am Watzmann im Schnee und Nebel verirrt - Großeinsatz für die Retter.

Auch der »Mythos« Watzmann- Ostwand lockt. Es halbes Dutzend tödlicher Unfälle gab es dort dieses Jahr, die meisten an der berüchtigten Wand, der höchsten der Ostalpen. Seit der ersten Begehung vor rund 100 Jahren stürzten dort mehr als 100 Menschen in den Tod.

»Die Einsätze werden mehr - insbesondere im Sommer«, sagt Ampenberger. Binnen zehn Jahren stiegen die Unfallzahlen im Sommer von gut 1500 auf mehr als 2500. Mehr Menschen sind in den Bergen unterwegs, es gibt mehr ausdifferenzierte Sportarten vom Wandern über Canyoning und Mountainbiken bis zum Klettersteiggehen. Der Klimawandel sorgt zudem dafür, dass Sommersportarten länger möglich sind - und in immer heißeren Bergsommern nehmen auch Notfälle wegen Dehydrierung und Erschöpfung zu.

Auch in Mittelgebirgen hat die Bergwacht mit Freizeitsportlern alle Hände voll zu tun. Die Bergwacht Baden-Württemberg berichtet von knapp 300 Einsätzen im vergangenen Jahr. Die Helfer retten Wanderer, die sich verlaufen oder im steilen Gelände auf der Schwäbischen Alb abstürzen - und Gleitschirmflieger, die in Bäumen landen. Im Schwarzwald ist der Brennpunkt der knapp 1500 Meter hohe Feldberg. Dort bekommt die Bergwacht vor allem im Winter mit der Skisaison zu tun. Knapp 1400 Mal musste die Bergwacht Schwarzwald ausrücken.

Ein Grund für steigende Einsatzzahlen ist auch das Handy. Rund 80 Prozent aller Notrufe gehen inzwischen per Mobiltelefon ein, zwölf Jahre zuvor (2002/2003) waren es nur 56 Prozent. Die Menschen alarmieren die Retter immer öfter frühzeitig mobil, bevor sich tatsächlich ein schwerer Unfall ereigne, sagt Christoph Hummel von der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins.

Die Hemmschwelle, die Retter zu rufen, sei geringer als früher, bestätigt Bergwachtsprecher Ampenberger. Er warnt aber zugleich vor Sorglosigkeit: »Man muss wissen: Die Rettungsleitstelle kann nicht automatisch die Standortdaten ermitteln. Ich drück' den Notruf, und jetzt weiß die Welt, wo ich bin und was ich brauche - das ist zu kurz gegriffen.« dpa/nd

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