Asbest in 70 000 Wohnungen

Beschädigte Fußböden können stark krebserregend sein

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie heißen Colovinyl, Deliflex oder Pastell-Polyflex und liegen massenhaft in Häusern, die in der Zeit zwischen den 1960er und 1990er Jahren erbaut oder saniert wurden. Was viele nicht wissen: Diese hauptsächlich aus dem Kunststoff PVC bestehenden Platten enthalten auch Asbest. Solange der Bodenbelag intakt ist, ist das nicht problematisch. Wird das Material jedoch beschädigt oder fängt es altersbedingt an, sich aufzulösen, entweichen die stark krebserregenden Fasern.

»Viele Menschen wissen gar nicht, dass ihre Gesundheit in Gefahr ist, wenn der Boden bröselt«, sagt der Abgeordnete Andreas Otto (Grüne). Seit Jahren widmet er sich der manchmal schlummernden und manchmal akuten Gefahr. Über 50.000 Wohnungen mit Asbestverdacht zählten allein die vier städtischen Wohnungsbaugesellschaften degewo, GEWOBAG, Stadt und Land und WBM im Jahr 2015, bei der Gesobau waren es knapp über 1000 Wohnungen. Die Howoge ist ihren Angaben zufolge asbestfrei. Flexplatten wurden in der DDR nicht verbaut. Andere Bauteile, die jenes damals als Wunderstoff angesehene Mineral enthielten, wurden bei den umfangreichen Nachwendesanierungen in der Osthälfte Berlins entfernt.

Seit einigen Jahren klären die landeseigenen Unternehmen Mieter über die Gefahren auf, die in ihren Böden schlummern. Wenn eine Wohnung frei wird oder Mieter Schäden an asbesthaltigen Bauteilen melden, wird saniert. 65 Euro pro Quadratmeter kostet die Asbestsanierung von Böden im Durchschnitt, wenn die Räume leer sind. Müssen Mieter für die Dauer der Maßnahme woanders untergebracht werden, wird es teurer. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Entfernung nur, wenn die Asbestfasern ungebunden sind - also auch, wenn sie beschädigt sind. »Wir brauchen eine Vorsorgesanierung, damit Mieter gar nicht erst einer Gefahr ausgesetzt werden«, fordert Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, der die Zahl der betroffenen Wohnungen auf 70 000 schätzt. »Wichtig ist, dass die städtischen Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen.«

»Wenn die Platten nicht beschädigt sind, droht keine Gefahr«, sagt David Eberhardt, Sprecher des Verbandes Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen (BBU), dem hauptsächlich kommunale Gesellschaften und Genossenschaften angehören. »Wenn keine Gefahr im Verzug ist, sollte das Geld lieber in andere Maßnahmen gesteckt werden.« Es gehe schließlich um mehrere tausend Euro pro Wohnung.

»Bei den privaten Vermietern herrscht absolute Geheimhaltung, was Asbestbelastung angeht«, beklagt Reiner Wild. So wie in der Weißen Siedlung in Neukölln an der Sonnenallee, die 2006 von der WBM verkauft wurde. Die markanten weißen Hochhäuser sind ein regelrechter Asbest-Alptraum: Bodenplatten, Abwasserrohre, Müllschächte, Fassadenverkleidungen und Loggiabrüstungen enthalten das krebserregende Material. Dort bröselte der Boden unter anderem in Gängen. Erst nach starkem Drängen Andreas Ottos will das dortige Quartiersmanagement die rund 4000 Bewohner, die häufig schlecht oder gar nicht Deutsch sprechen, aufklären. »Es braucht einen gesetzlichen Zwang zur Aufklärung«, sagt Otto. »Und eine Strategie, wie die Sanierung schnell umgesetzt werden kann.« Dieses Thema nehme er mit in die Koalitionsverhandlungen.

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