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Es brodelt am Stadtrand

Anwohner in Marzahn-Nord-West geben Flüchtlingen Schuld für sozialen Abstieg

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.

Der erste Eindruck trügt: Wer in die Havemannstraße im Norden Marzahns einbiegt, sieht freundliche, helle Fassaden und viel Grün. Ein paar Meter weiter passiert die Havemannstraße den Barnimplatz. Er ist wie meistens, so gut wie leer, die alte Mauer an der Seite ist beschmiert, aufgestellte Infosäulen ebenfalls. Dieses trostlose Bild, das auch der intensive Sonnenschein nicht aufhübschen kann, steht für die momentane Stimmung im Kiez.

Das war schon vor der Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlung vor eineinhalb Wochen so und hat sich danach sogar noch verstärkt. »Hier brodelt es«, sagt ein Herr um die 50. Dieser ganze Staat sei doch am Ende. Niemand greife wirklich durch. »Die da oben müssten viel härter gegenüber straffällig gewordenen Flüchtlingen sein«, betont der Marzahner.

Er habe jedenfalls die Alternative für Deutschland gewählt, weil die versprochen hätten, härter durchzugreifen. Dann nimmt der Mann seinen Einkaufsbeutel und geht weiter - wohin weiß er selbst nicht. »Ist auch egal, mich treibt nichts, einen Job habe ich schon lange nicht mehr.«

Auch die beiden Frauen, die am Montagvormittag vor dem Sonnenstudio an der Havemannstraße sitzen, sind unzufrieden: Die Jüngere ist erst gar nicht zur Wahl gegangen, die Ältere hat ihre Kreuze bei den AfD-Kandidaten gemacht. Weil sie hofft, dass die Partei vor allem gegenüber »den Ausländern« konsequent handelt. »Nachts gehe ich schon lange nicht mehr vor die Tür, weil ich Angst habe«, betont die Frau, die in der Marzahner Schwarzwurzelstraße wohnt. Wovor? »Vor den Bewohnern der Unterkunft am Hausvaterweg«, sagt sie. Warum? »Man weiß bei denen doch nie, was die vorhaben, schon wie die gucken.«

Außerdem werde »denen« ja alles »vorne und hinten reingesteckt«, beteiligt sich die Jüngere wieder am Gespräch. »Und jetzt wird uns in der Wittenberger Straße noch so eine Massenunterkunft vor die Nase gesetzt«, ärgert sich die Marzahnerin. Die meisten, die an diesem Vormittag ihre Meinung öffentlich machen, sagen, dass sie »dieses Mal aus Protest die AfD wählten«. Ob sich dadurch die Politik wirklich ändert, bezweifelt ein Großteil. Der Frust am Stadtrand ist jedenfalls groß. Die Menschen sind unzufrieden und haben Angst vor Fremden.

Im Bereich Marzahn Nord gibt es laut Marzahn-Hellersdorfer Sozialbericht von 2014 immerhin 38 Prozent Hartz-IV-Bezieher. Das ist die höchste Quote aller neun Stadtteile des Bezirks. Von Anfang an war die Sozialstruktur in diesem Teil der Großsiedlung - die Häuser wurden Mitte/Ende der 1980er-Jahre gebaut - schlechter als in den zuerst errichteten Neubaugebieten. Dieser Zustand verstärkte sich im Laufe der Jahre weiter. Die Mieten sind im stadtweiten Vergleich noch immer recht gering und ziehen Menschen mit wenig Geld an.

Seit 1999 gibt es das Quartiermanagement für Marzahn-Nord-West. Das Büro leitet André Isensee, der sagt, dass die Gegend besser sei als ihr Ruf. Schließlich habe sich in den vergangenen Jahren auch viel Positives getan: Der Barnimplatz wurde umgestaltet, es gebe soziale Projekte für Jugendliche und Senioren und Aktionen, bei denen sich jeder einbringen könne. »Es ist allerdings schwer, die Menschen zu erreichen«, gibt er zu. Viele fühlten sich ohnmächtig, und das habe die AfD im Wahlkampf geschickt genutzt und die Flüchtlinge zu den Sündenböcken erklärt. Was das Wahlergebnis für die Quartiersarbeit bedeutet, fasst Isensee so zusammen: »Wir müssen einen Weg finden, und die AfD konstruktiv in lokale Themen einbinden.«

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