»Selbstkrönung«? Linke uneins über Spitzenkandidatur

Wagenknecht und Bartsch machen Ambitionen auf Wahlkampf-Spitze geltend / Riexinger: »Sind am Anfang eines Prozesses« / Rufe nach Mitgliederentscheid

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 8 Min.

Rücken wichtige Wahlen näher, wirkt ein politischer Dreisatz auf die Debatten in Parteien: Was wird ins Programm geschrieben? Machen wir eine Koalitionsaussage? Und: Wer soll im Wahlkampf ganz vorne stehen?

Um letztere Frage ist jetzt bei der Linkspartei ein Streit entbrannt: Die beiden Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben am Montag in einer internen Runde von Parteivorstand und Landesvorsitzenden ihre Ambitionen geltend gemacht. Für die meisten Beteiligten sei ihr Vorstoß zu einer Wahlkampf-Doppelspitze überraschend gekommen, heißt es auf der einen Seite. Bartsch wies diese Darstellung gegenüber »nd« zurück. »Wir sind nicht vorgeprescht«, sagte er. Vielmehr seien in der Runde von der Vorsitzenden Katja Kipping verschiedene Varianten zum Personaltableau geäußert worden, dazu hätten sich Wagenknecht und Bartsch dann positioniert. Im Übrigen bleibe er bei seiner Auffassung, dass Personalfragen nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollten, so Bartsch.

»Am Anfang eines Prozesses«

Dennoch ist nun von Überrumpelung die Rede, das Wort »Erpressung« sei auch in der Runde gefallen – und schnell äußerte sich nun Widerstand. Führende Genossen aus Ost wie West pochen auf das Vorschlagsrecht der Vorsitzenden Kipping und Bernd Riexinger. Der bemühte sich unterdessen, den ursprünglichen Zeitplan zu retten: »Wir sind ganz am Anfang eines Prozesses. Da bedarf es keinerlei Ultimaten oder Erklärungen«, wird der Parteichef vom »Tagesspiegel« zitiert. Die Wahlkampfspitze soll erst im Januar bekannt gegeben werden.

Vom Verlauf der Sitzung am Montag sollte eigentlich gar nichts nach außen dringen, heißt es in der Linkspartei. Doch die Runde der Beteiligten war groß, dass Sichtweisen auf die Debatte bekannt werden nur eine Frage der Zeit. Am Mittwoch äußerte sich Wagenknecht auf Nachfragen der Presse dann selbst und bezeichnete eine Wahlkampf-Doppelspitze mit Bartsch als »sehr naheliegende Lösung«. Sie verband dies mit einem Hinweis auf das Prozedere in anderen Parteien. Bei SPD, CDU und CSU läuft es freilich in der Regel anders. Und die Grünen bewegen sich gerade auf einen Mitgliederentscheid über die Spitzenpersonalien zu.

Ein solcher könnte nun auch der Linkspartei ins Haus stehen. Kipping und Riexinger dürften nicht auf ihr Vorschlagsrecht verzichten – aus ihrer Sicht würde sonst die Spitze der Bundestagsfraktion in einer zentralen Frage wie die eigentliche Parteiführung dastehen. Wagenknecht und Bartsch wiederum haben erklärt, nur als Zweier-Spitze antreten zu wollen und nicht noch im Tandem mit weiteren Linkenpolitikern.

Die Niederlage von 2002 im Kopf

Das spricht gegen andere Modelle, die im Gespräch gewesen sind. Die Landeschefin von Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, hatte bereits im August für eine Doppelspitze aus Wagenknecht und Kipping plädiert. Sie könne auch mit einem Viererteam aus Wagenknecht, Kipping, Bartsch und Riexinger leben, sagte sie nun den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Eine solche Lösung dürfte unter den Beteiligten schwer vermittelbar sein – wird aber als Möglichkeit angesehen, viele unterschiedliche Wählermilieus anzusprechen. Bei den letzten Wahlen hat die Linkspartei unter anderem in urbanen Milieus und bei Jüngeren zulegen können, in der Fläche verlor sie dagegen an Boden, was unter anderem mit dem demografischen Wandel der Basis im Osten zu tun hat.

Was den Unterschied machen würde
Mit Personaldebatten wird die Linkspartei nicht attraktiver. Und warum muss man überhaupt Spitzenkandidaten nominieren? Ein Kommentar

Bartsch, der die Niederlage bei den Bundestagswahlen 2002 im Kopf haben dürfte, als die PDS schon einmal mit einem Quartett an der Spitze angetreten war, verwies gegenüber der Deutschen Presse-Agentur auf die »Hausaufgaben«, die der Parteivorstand zu erledigen habe: nämlich eine Wahlstrategie vorzulegen. Ein erster Entwurf von Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn war in der vergangenen Woche im Vorstand durchgefallen, weil er angeblich zu sehr auf eine rot-rot-grüne Regierung setze. Das war von einem Teil der Spitzengenossen als Brüskierung des Wahlkampfleiters verstanden worden, zumal sein Papier auch ganz andere Akzente setzt: linke Hoffnung, gesellschaftliche Solidarität, SPD und Grüne als Konkurrenten.

Nun verbindet sich diese Debatte um die Strategie und Ansprache mit der um die Personen. Brandenburgs Landeschef Christian Görke sagt in Richtung Wagenknecht und Bartsch gerichtet, »Selbstkrönungen von Spitzenkandidaten sind weder gefragt noch zu diesem frühen Zeitpunkt hilfreich«. Der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller ließ wissen, er denke, die Parteivorsitzenden »werden Spitzenkandidaten vorschlagen, die alle linken Wähler repräsentieren«. Auch Fraktions- und Parteivize Caren Lay pochte darauf, »die Entscheidung darüber, wer Spitzenkandidat wird, liegt bei der Partei«.

»Inkognito-Durchstechen aus Sitzungen«

Das Problem: Hinter die Montagsrunde und ihre Ausdeutungen wird man kaum noch zurückkommen können. Es herrscht teils auch Frust. Der Sprecher des linksreformerischen Forums Demokratischer Sozialismus, Dominic Heilig, sagte dem »nd« zu dem ganzen Vorgang, was »die da gerade aufführen, verkennt nicht nur die jeweiligen individuellen Aufgaben, die aktuelle politische Lage in diesem Land, den Zustand der Partei«. Die Personaldebatte sei auch »allein binnenfixiert und damit wenig attraktiv« für potenzielle Wähler. »Der Vorstand hat gerade die dringend notwendige Debatte über unsere Wahlstrategie und Aufstellung in den Sand gesetzt, dabei sind gerade inhaltliche Konzentrationen jetzt wichtig«, so Heilig.

Heilig erinnerte auch an eine gemeinsame Forderung mit der Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak, aus Vorstandssitzungen der Partei per Livestream zu übertragen. »Das wurde abgelehnt. Heute zeigt sich, dass das vielleicht die falsche Entscheidung war, denn dann würde das Inkognito-Durchstechen aus Sitzungen, an denen nur wenige teilnehmen, sinnlos werden.« Was man ebenfalls als Hinweis darauf verstehen kann, dass er die Sitzung am Montag anders erlebt hat als andere, auf die sich nun Berichte darüber stützen.

Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich sagte der »Tageszeitung«, Wagenknecht und Bartsch hätten »ein Angebot formuliert. Wo ist das Problem?« Dass beide für die Rolle in Frage kämen, sei auch »nicht vom Himmel gefallen«. Offenkundig sei aber »kein gemeinsames Vorgehen erreicht worden«, sagte Liebich. Er selbst glaube, dass die Fraktionsvorsitzenden »die richtigen Spitzenkandidaten für die Linke« wären.

Werbung für ein Viererteam

Am Donnerstag meldeten sich über 30 Politiker der Linkspartei mit einem gemeinsamen Papier in die Debatte um die Spitzenkandidatur bei den Bundestagswahlen 2017 zu Wort und plädierten dafür, »das gemeinsame Gewicht unserer Partei- und Fraktionsvorsitzenden« zur Geltung zu bringen. Um im kommenden Herbst erfolgreich zu sein, müsse die Linke »in den zentralen Feldern der politischen Auseinandersetzung eigene inhaltliche Positionen markieren und diese auch personell mit der Aufstellung von profilierten Spitzenkandidat*innen abbilden«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Papier weiter. Ein Spitzen-Quartett sei »dazu eine geeignete Lösung«.

Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, »von den Flüchtlingshelfer*innen bis hin zu den Erwerbslosen und von den Gewerkschaften bis hin zur Friedensbewegung glaubwürdig und erfolgreich die unterschiedlichen Milieus unserer Partei anzusprechen«. Unterzeichnet ist das Papier unter anderem von den Vorstandsmitgliedern Christine Buchholz und Janine Wissler, Landessprechern aus Bremen und Bayern, von den Spitzen des Jugend- und Studierendenverbandes sowie von Vertretern der Strömung »Sozialistische Linke«.

Die Landesvorsitzenden aus Bayern und Bremen, Ates Gürpinar und Felix Pithan verwiesen darauf, dass die Linkspartei »in alternativen urbanen Milieus« und bei jungen Akademikern hinzugewinne, »die nicht zuletzt unsere klare Haltung für das Asylrecht, für offene Grenzen für Geflüchtete und gegen rechte Hetze schätzen und honorieren«. Auf der anderen Seite stünden aber »Verluste, bestenfalls Stagnation, bei Erwerbslosen, Menschen in prekären Lebensverhältnissen, aber auch Gewerkschaftsmitgliedern und Arbeitern.« Dies sei für eine sozialistische Partei »ein grundlegendes Problem«. Auch im Wahlkampf müsse dies Berücksichtigung finden – und also auch bei der Auswahl der Spitzenkandidaten. Gürpinar und Gürpinar sprachen sich »für ein Viererteam« aus Partei- und Fraktionsvorsitzenden aus. Wenn dies als zu viel Personal in der ersten Reihe angesehen würde, »könnte mit der Spitzenkandidatur von Sahra und Katja dennoch eine ähnliche Richtung erzielt werden«. Zwei Frauen an der Spitze seien zudem »in Zeiten geschlechterpolitischer Rollbacks ein sehr positives Signal«.

Der rheinland-pfälzische Landeschef Alexander Ulrich äußerte sich im Netzwerk Facebook dagegen mit den Worten, sein Landesverband habe sich bereits eindeutig für die beiden ausgesprochen. »Die jetzigen sollen auch die künftigen Fraktionsvorsitzenden sein. Wenn hier nicht schnell Klarheit hergestellt wird, müssen wie in England die Mitglieder die Frage beantworten«, so Ulrich. Auch das Netzwerk »Freiheit durch Sozialismus«, das sich dem linken Flügel der Partei zurechnet, sprach sich gegen eine Viererspitze im Wahlkampf und für einen »Mitgliederentscheid für Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch« als Spitzenkandidaten aus.

»Herausgehobene Personalfragen«

Eine Urabstimmung ist laut der Satzung der Partei auch in »herausgehobenen Personalfragen« möglich, wenn eine bestimmte Zahl von Mitgliedern oder Landesverbänden dies verlangt. Wie ein Rennen ausgehen würde, bei dem etwa alle vier Spitzengenossen um zwei Plätze konkurrieren würden, gilt als offen.

Im Internet ist inzwischen eine Kampagnenseite für ein »Team Sahra« ins Netz gegangen. »Alternativen zur Großen Koalition des Staatsversagens sind möglich«, postete Wagenknecht dazu auf Facebook. »Lass uns gesellschaftlichen Druck aufbauen.« Auf der Seite können sich Unterstützer eintragen. Diese erhalten dann Informationen über Aktionen sowie Argumente »für Aufklärung in Deinem Freundes- und Bekanntenkreis sowie in sozialen Netzwerken«.

Doch auch hieran wurde Kritik laut. Linken-Vorstandsmitglied Thies Gleiss erklärte auf Facebook, hier sei bei »den erfolgreichen Politikkampagnen der letzten Monate, bei Bernie Sanders und Jeremy Corbyn« kopiert worden. »Leider wird nur die Verpackung geklaut«, so Gleiss. Die Kampagne werde »ohne ihren Inhalt« kopiert: »ohne ihre zentrale Vision einer ›politischen Revolution für den Sozialismus‹«.

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