Hartz IV erst nach fünf Jahren

Bundesregierung will Bezug von Sozialleistungen für EU-Bürger einschränken

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Berlin. EU-Bürger sollen in Deutschland frühestens nach fünf Jahren Hartz IV oder Sozialhilfe bekommen können, wenn sie hier nicht arbeiten. In der Koalition gebe es eine Einigung über einen entsprechenden Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), verlautete am Freitag in Regierungskreisen. Zuerst berichteten die Zeitungen der Funke Mediengruppe am Freitag darüber. Grundsätzlich soll auf diese Weise die viel beschworene »Zuwanderung ins deutsche Sozialsystem« unterbunden werden, vor allem aus osteuropäischen EU-Staaten. Damit sollen vor allem die Kommunen entlastet werden. Nahles hatte die Änderungen bereits Ende 2015 angekündigt. Im April verteidigte sie ihren Gesetzentwurf gegen Kritik. Die Abstimmung in der Regierung dauerte nach Informationen der Funke-Zeitungen deshalb so lange, weil Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ursprünglich noch Verschärfungen verlangt hatte.

Die Bundesregierung will die geplanten Einschränkungen bei der Sozialhilfevoraussichtlich kommende Woche auf den Weg bringen. Die Kabinettsbefassung wird für den 12. Oktober angestrebt, wie am Freitag aus Regierungskreisen verlautete.

Den eigentlichen Startschuss für das Gesetz hatte das Bundessozialgericht in Kassel Ende 2015 unfreiwillig abgegeben. Damals entschieden die Richter, dass EU-Bürger spätestens nach sechs Monaten Aufenthalt Anspruch auf Sozialhilfe in Deutschland haben. Daraufhin kündigte Nahles eine Gesetzesänderung an, die ein solches Urteil nicht mehr zulassen solle.

Die für die Sozialhilfe zuständigen Städte und Gemeinden fürchten, dass es ohne die geplante Gesetzesänderung zusätzliche Milliardenkosten auf sie zukommen könnten. »Die derzeitigen Regelungen und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes können dazu führen, Deutschland für Zuwanderungswillige im Ausland noch attraktiver zu machen als es ohnehin schon ist«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Die Städte warten schon auf dieses Gesetz«, sagte auch der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, der »Mitteldeutschen Zeitung«.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezogen im Januar hierzulande knapp 440 000 Menschen aus anderen EU-Staaten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Polnische Staatsangehörige bildeten mit rund 92 000 Leistungsbeziehern die größte Gruppe, es folgten Italiener (71 000), Bulgaren (70 000), Rumänen (57 000) und Griechen (46 000). Aber längst nicht alle dieser Menschen sind arbeitslos. Viele von ihnen sind Niedrigverdiener, die Lohn mit Sozialleistungen aufstocken. Auffallend hoch ist der Anteil an »Aufstockern« bei Bulgaren und Rumänen.

Kritik an der geplanten Neuregelung kam von LINKEN und Gewerkschaften. Das Vorhaben widerspreche grundsätzlich dem europäischen Gedanken, erklärte die stellvertretende Fraktionschefin Sabine Zimmermann. »Freizügigkeit und Mobilität in Europa müssen sozial abgesichert werden.«

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verwies auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten, demzufolge der Gesetzentwurf möglicherweise gegen deutsches und europäisches Recht verstoße. »Das Gesetz trägt nicht dazu bei, die Probleme zu lösen, noch hilft es in der dringend notwendigen Debatte darüber, wie das europäische Sozialrecht künftig aussehen soll« erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Leidtragenden seien Menschen, die ohnehin unter schwierigen Rahmenbedingungen lebten, kritisierte Buntenbach weiter. »Nun will man noch fünf Jahre zusehen, bis sich ihre Armut verfestigt hat.« Agenturen/nd

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