Maja T.: »Ich habe eine Würde, und die bewahre ich mir«

Antifaschist*in Maja T. tritt in Hungerstreik und wirft der ungarischen Justiz menschenunwürdige Haftbedingungen vor

  • John Malamatinas und Jan Theurich, Budapest
  • Lesedauer: 4 Min.
In Budapest und wie hier im Bild in Deutschland unterstützen zahlreiche Menschen immer wieder Maja T. mit Demonstrationen.
In Budapest und wie hier im Bild in Deutschland unterstützen zahlreiche Menschen immer wieder Maja T. mit Demonstrationen.

Der Prozess gegen die antifaschistische Aktivist*in Maja T. und weitere Beschuldigte ging am Freitag in die nächste Runde. Am Vortag hatte T. einen Hungerstreik begonnen – als Reaktion auf die Haftbedingungen und mit der Forderung verbunden, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen. Eigentlich hätte das Gericht bereits am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, über einen Antrag auf Hausarrest entscheiden sollen – doch die Entscheidung wurde auf den 20. Juni vertagt.

Für die zahlreich erschienenen Prozessbegleiter*innen stand am dritten Prozesstag, dem Freitag, der Hungerstreik im Mittelpunkt. In einer beinahe poetischen Erklärung vor Gericht machte T. die unmenschlichen Haftbedingungen erneut öffentlich, denen sie seit fast einem Jahr in ungarischer Isolationshaft ausgesetzt ist. Sie werde psychisch mürbe gemacht durch den Entzug von Sonnenlicht, permanente Überwachung, allgegenwärtige Gewaltförmigkeit und das Gefühl, als queere Person von der ungarischen Verfassung nicht einmal existenziell anerkannt zu sein. Ihr Text endete mit den Worten: »Ich kann dieses Spiel nicht mehr mitspielen und diese Missstände nicht mehr aushalten. Ich habe eine Würde und die bewahre ich mir.« Nach dem Ende der Erklärung erhob sich ein Großteil des Publikums und skandierte »Free Maja«. Der Richter rief das Publikum zur Ruhe auf und drohte mit Rausschmiss, sollte dies noch einmal geschehen.

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Für den juristischen Teil der Verhandlung waren die Zeugenvernehmungen von Bedeutung. Es wurden drei polnische Staatsbürger vernommen. Dabei handelt es sich um die polnischen Neonazis Rafal Robert B., Justyna Malgorzata B. und Bartlomiej Fabian Maksymilian W. Unisono gaben sie von sich, lediglich als Tourist*innen anwesend gewesen zu sein. Aus reinem Zufall hätten sich alle drei zum Zeitpunkt der rechtsextremen Veranstaltung zum »Tag der Ehre« in Budapest aufgehalten. Die Recherchen von antifa-info.net legen jedoch nahe, dass man bei diesen Aussagen mindestens skeptisch sein sollte. Alle drei sind Unterstützer der extrem rechten Partei Ruch Narodowy (Nationale Bewegung). Diese organisiert die jährlichen »Unabhängigkeitsmärsche« in Warschau. Die Partei pflege enge Verbindungen zur ungarischen extrem rechten Partei Jobbik, so antifa-info.net.

Schon am frühen Morgen hatte die Polizei die Straße vor dem Gericht weiträumig abgesperrt. Direkt vor dem Eingang fand eine Kundgebung mit knapp zehn Mitgliedern der extrem rechten Jugendbewegung der 64 Landkreise statt. Sie hielten ein Transparent mit der Aufschrift »Antifa scum attacking from behind. Get out of our country« (»Antifa-Abschaum, der von hinten angreift. Verschwindet aus unserem Land«). Seitlich prangte ein durchgestrichenes Antifasymbol neben dem Schriftzug. Vor, während und nach der Verhandlung wurden Angehörige und sich mit T. solidarisch zeigende Besucher*innen queerfeindlich, als »Rote«, »kommunistische Bastarde« und »Antifaschweine« beleidigt und abgefilmt. Die Polizei schritt nicht ein, stand sogar eher gelangweilt neben der Szenerie.

Auf der gegenüberliegenden Seite, vor den Absperrungen, versammelten sich etwa 50 Unterstützer*innen von T. – wie schon am Mittwoch vor allem Aktivist*innen aus Deutschland, Österreich und Italien. In der Verhandlungspause trat der Jenaer Rapper True Lu auf und performte unter anderem seinen Solidaritätstrack »TH bis BP« (gemeint ist Thüringen bis Budapest).

Vor Prozessbeginn versuchten zwei Teilnehmende der rechten Kundgebung, sich unter die linke Kundgebung zu mischen, um Interviews zu führen. Als sie erkannt wurden, machten Antifaschist*innen lautstark auf sie aufmerksam. Einer der beiden rechten Influencer provozierte weiter vom Rand der Kundgebung mit Rufen wie »Wer ist mutig genug, ein Interview zu geben?«. Auch diese Provokationen wurden stillschweigend toleriert.

Am Vortag hatten Maja T.s Vater und weitere Familienmitglieder sie im Gefängnis besucht. »Maja geht es den Umständen entsprechend gut. Natürlich ist alles sehr aufregend – der Hungerstreik und die Gerichtstage«, sagte der Vater zu »nd«. »Bislang sind keine Auswirkungen des Hungerstreiks zu spüren. Natürlich mache ich mir als Vater Sorgen – ein Hungerstreik kann Leib und Wohl gefährden.« Der Hungerstreik sei »das letzte, verzweifelte Mittel« für T., um sich gegen »diese psychische Folter zur Wehr zu setzen«.

Auch die EU-Abgeordneten von Die Linke Martin Schirdewan und Carola Rackete zeigen sich tief besorgt. Schirdewan hält in einer Pressemitteilung fest: »Es ist erschütternd, dass ein junger Mensch zu einem solch drastischen Mittel greifen muss, um von der Bundesregierung gehört zu werden.« Seine Parteigenossin Rakete sieht die Bundesregierung in der Verantwortung, da diese den Hungerstreik durch ihre Untätigkeit mitzuverantworten habe: »Wenn Friedrich Merz und Lars Klingbeil sich ernsthaft von Rechtsextremen abgrenzen und sich für demokratische Werte einsetzen wollen, dann dürfen sie nicht untätig zusehen.«

Für T.s Vater ist klar, dass es nun darum gehe, eine große Öffentlichkeit herzustellen und Druck auf die deutsche Bundesregierung – insbesondere auf den neuen Außenminister Johann Wadephul – aufzubauen, um endlich Schritte für Majas Rückführung nach Deutschland einzuleiten.

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