Rätselhafter Fund in Polizeibaracke

In Basdorf tauchten Papiere eines Berliner Holocaust-Überlebenden und FDP-Politikers auf

  • Hans-Jürgen Herget
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf Dachböden und in Kellern alter Häuser ist schon mancher Schatz gefunden worden. Wie aber Lebenszeugnisse eines im 19. Jahrhundert geborenen jüdischen Bürgers, der die Nazizeit in Deutschland überstand und später in Westberlin Karriere machte, in ein ehemaliges Polizeiobjekt in Basdorf (Barnim) gelangten, ist bislang ein Rätsel.

Gestoßen auf die Papiere ist Paul Bergner, Anwohner des jahrelang leerstehenden Geländes an der B 109 und Rentner mit viel Zeit und Interesse für Geschichte. Nach einem Hinweis von Jugendlichen hatte er unlängst das Gebiet durchstreift, auf dem sich im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsarbeiterlager der BRAMO-Werke befand, die BMW-Flugzeugmotoren herstellten. Heute sind aus dieser Zeit nur noch ein paar zugenagelte Baracken und das einstige Kasino übrig. Nach dem Krieg waren in dem Lager zeitweilig deutsche Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten untergebracht. Später war es der Bauhof der Gemeinde. Schule, Gemeindeverwaltung, selbst der Wodkaproduzent Schilkin waren hier zeitweise zu finden. Dann kam die Grenzpolizei, ihr folgten Bereitschaften der DDR-Volkspolizei.

Nach dem Mauerfall entstand auf dem Areal die Polizeischule Brandenburgs mitsamt dem Landeskriminalamt (LKA). Seit 2006 die Polizeischule nach Oranienburg und das LKA nach Eberswalde verlegt wurden, gammeln die Gebäude vor sich hin, wurden Opfer blinder Zerstörungswut oder Abenteuerspielplatz von Jugendlichen. Kleingewerbe siedelte sich an, bis 2013 der Abrissbagger kam. Bald wird hier das Wohnprojekt »Basdorfer Gärten« entstehen, sollen hier Eigenheime entstehen und aus den Kasernen moderne Mietshäuser gemacht werden.

Die Zwangsarbeiterbaracken - unter Denkmalschutz stehend - sind zum Teil als illegale Müllabladeplätze missbraucht worden. Dort wurde Paul Bergner fündig. Der 77-Jährige kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als er zwischen vollen Babywindeln, Spielzeug, Steuerunterlagen aus dem vergangenen Jahrhundert, zerschlagenen Gebrauchsgegenständen und Kleidungsstücken mehrere bereits geöffnete und durchwühlte Kartons fand, aus denen ihm historische Fotos und Schriftstücke entgegen fielen. Neugierig geworden, schaute er genauer hin.

Da fanden sich hervorragend erhaltene Ausweise und amtliche Schriftstücke, die mühsam sortiert Einblick in das Leben eines Dr. Kurt Danielewicz geben. Der Mann erblickte 1893 in Berlin das Licht der Welt, war jüdischen Glaubens und machte 1914 Notabitur. Als Kriegsfreiwilliger und Kraftfahrer nahm er an den Schlachten des Ersten Weltkrieges teil und wurde vor Ypern zum Oberjäger, also zum Unteroffizier befördert. In der Weimarer Republik studierte Danielewicz Maschinenbau und promovierte. Von den Faschisten wurde er wie alle jüdischen Männer gezwungen, den zweiten Vornamen Israel anzunehmen, um als Jude sofort kenntlich zu sein. Wie aus den gefundenen Dokumenten hervorgeht, besaß seine jüdische Mutter mehrere Mietshäuser, die um 1940 an die damals minderjährige Enkelin übertragen wurden. Die Mutter wurde 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert. Unter Datum vom 8. Mai 1945 wurde sie für tot erklärt.

Die Enkelin Marion galt als »Halbjüdin« und konnte damals noch Immobilien unter Vormundschaft ihres Vaters Kurt besitzen und verwalten. Am 20. Juni 1944 stellte sie mit Hilfe ihres Vaters einen Antrag auf Entschädigung für Bombenschäden, die am 24. März und am 24. Mai desselben Jahres an diesen Häusern in der Holzmarktstraße eingetreten waren. Der Stadtbezirk Friedrichshain trug damals den Namen des SA-Mannes Horst Wessel, der von einem Kommunisten getötet wurde. Horst-Wessel-Stadt ist denn auch auf den Stempeln zu lesen. Kurt Danielewicz war mit einer »arischen« Frau verheiratet. Sie hatten eine Tochter, jene Marion, die 1928 geboren wurde.

Bereits wenige Tage nach der Kapitulation Berlins erhielt die Familie die Zuweisung für die Wohnung eines geflohenen NSDAP-Mitglieds in Charlottenburg. Papiere der britischen Militärmission belegen, dass Danielewicz in deren Auftrag die Verwaltung im zerstörten Berlin mit aufbauen half und dafür Sonderrechte genoss. Allerdings scheiterte sein Versuch, Anfang der 1950er Jahre in den diplomatischen Dienst der Bundesrepublik zu gelangen. Er hatte dafür die Hilfe eines britischen Journalisten in Anspruch genommen, der über sein Leben geschrieben hatte. Aus dem erhalten gebliebenen Briefwechsel geht hervor, wie sich die beiden darüber einig sind, dass der Auswärtige Dienst der gerade gegründeten BRD vorwiegend mit Altnazis besetzt wurde und demokratische Kräfte dort keine Chance erhielten.

Später trat Danielewicz der FDP bei und brachte es in der Senatsverwaltung bis zum Regierungsrat. Hier verliert sich dann seine Spur. Er starb 1972. Was aus seiner Familie wurde, ob noch Verwandte leben, lässt sich im Moment nicht aufklären. Aber vielleicht tauchen ja auch dafür noch Belege auf. Paul Bergner ist weiter auf der Suche. Die Unterlagen sollten nach seiner Meinung in ein Berliner Archiv gelangen und dort bearbeitet werden.

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