Umsteigen ist ein Hindernislauf

Eigentlich unzumutbare Zustände am Bahnhof Falkenberg/Elster werden nicht geändert

Der Regionalexpress RE 3305 aus Berlin erreicht den unteren Bahnhof Falkenberg/Elster. Oben auf Gleis 6 wartet noch einige Sekunden der Zug nach Leipzig, zudem gibt es auf Gleis 7 Anschluss nach Cottbus. Weil der Zug nach Leipzig Verspätung hatte, können die Reisenden ihn gerade noch erreichen - wenn sie jetzt nichts falsch machen und sofort den richtigen Bahnsteig finden.

Der Zugbegleiter springt aus dem RE, ruft Hinweise, spurtet vor zu den Treppen und Aufzügen und zeigt jedem Reisenden, wo er hin muss. Diesmal schaffen alle ihre Anschlüsse. Der Zugbegleiter atmet durch. Schon auf der Herfahrt hatte er bei der Fahrscheinkontrolle freundlich vorgewarnt: »Das Umsteigen in Falkenberg/Elster ist ein bisschen schwierig, wenn man sich nicht auskennt.«

Tobias Behr beobachtet kopfschüttelnd die Szenen bei der Ankunft in Falkenberg/Elster. Als Fahrgäste haben er und seine Mutter erlebt, welche Schwierigkeiten es hier gibt. Heute ist Behr aus Herzberg hergeradelt, um dem »nd« zu zeigen, wie schlimm alles ist. So sind nur die Gleise ausgeschildert. Es fehlen aber Hinweise, in welche Richtung die Züge dort abfahren, und die Anzeigentafeln unten sind von oben gar nicht zu sehen oder nicht zu entziffern.

Der 53-Jährige führt zum Bahnsteig 7, wo die Züge oben aus Leipzig kommen und weiter nach Cottbus rauschen. Hier treffen an Wochenenden oft Touristen mit Fahrrädern ein, erzählt er. Die haben sich etwa am Vormittag Torgau angeschaut und möchten nun nach Herzberg, wo es eine sehenswerte Kirche mit mittelalterlichen Wandmalereien zu besichtigen gibt. Der Regionalexpress nach Berlin, der immer auf Gleis 1 eintrifft, fährt aber nicht von Gleis 1 aus zurück, weil dort ein Ausfahrtssignal fehlt. Der RE rangiert für die Rückfahrt hinüber auf Gleis 2 oder 4. Erst dort dürfen die Bahnkunden einsteigen. Eine Einfahrt gleich auf Gleis 2 fällt aus, weil es dort wiederum am Einfahrtsignal mangelt, wie Tobias Behr herausbekommen hat.

Außerdem fehlt auf dem oberen Bahnsteig 7 ein Aufzug zum Bahnsteig 2 unten. Das Umsteigen von Leipzig nach Berlin erfordert deswegen für Menschen mit schwerem Gepäck, einem Fahrrad, einem Kinderwagen oder im Rollstuhl eine absurde Berg- und Talfahrt. »Da fasst man sich doch an den Kopf«, sagt Behr. Mit dem ersten Aufzug muss man vom Bahnsteig 7 runter zum Bahnsteig 1, mit dem zweiten Aufzug hoch zum Bahnsteig 6 und mit dem dritten Aufzug wieder runter zum Gleis 2. Das dauert ganze vier Minuten - aber nur, wenn die Aufzüge immer schon vor der Nase stehen, also nicht erst per Knopfdruck gerufen werden müssen, und auch nur dann, wenn sich nirgendwo eine Schlange vor einem der Aufzüge bildet, was durchaus vorkommt, wenn gerade viele Menschen aus einem Zug ausgestiegen sind.

Überdies weiß Behr, dass die Aufzüge oft stecken bleiben. Zeitweise musste die Freiwillige Feuerwehr zwei Mal pro Woche ausrücken, um Insassen zu befreien, sagt er. Mittlerweile sei das seltener geworden, doch es komme immer noch vor.

Noch schlimmer wird es, wenn der Zug nach Berlin von Bahnsteig 4 abfährt. Dorthin führt als einziger Weg eine behelfsmäßige Metalltreppe. Gerade müssen drei beleibte und gehbehinderte Senioren diese Treppe nehmen. Die Frau tastet sich quälend langsam von Stufe zu Stufe herunter, klammert sich dabei mit beiden Händen ans Geländer, um den Halt nicht zu verlieren. Nur jeweils eine Hand können die beiden Männer ans Geländer legen, weil sie schwere Koffer schleppen müssen. Der eine Rentner gerät mehrfach ins Wanken. Tobias Behr kann kaum hinsehen. Jeden Moment rechnet er damit, dass einer der Senioren stürzt und sich die Knochen bricht.

Im Juli beschwerte sich Tobias Behr während der Einwohnerfragestunde des Kreistags Elbe-Elster über die Missstände. Die Kreisverwaltung fragte daraufhin beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) nach. Doch die Antworten des VBB, die Landrat Christian Heinrich-Jaschinski (CDU) an Behr übermittelte, befriedigen nicht. So heißt es: »Eine unzureichende Beschilderung konnte bei eigenen Begehungen bisher nicht festgestellt werden.« Die schlechte Erreichbarkeit des Bahnsteigs 4 über die Metalltreppe wird damit gerechtfertigt, dass dieser Bahnsteig ursprünglich nur noch provisorisch weitergenutzt werden sollte, bis das geplante Elektronische Stellwerk Falkenberg/Elster 2018 in Betrieb gegangen wäre. »Leider konnte das Stellwerk wegen außerordentlicher Kostensteigerungen nicht planmäßig umgesetzt werden«, so der VBB. »Ein neuer Realisierungstermin ist aktuell nicht geplant, so dass vorerst von einem Verbleib des Provisoriums ausgegangen werden muss.«

Auf nd-Nachfrage bei der Deutschen Bahn AG erläutert Sprecher Gisbert Gahler: »Nach dem ursprünglichen Betriebsprogramm der DB Netz AG war der Bahnsteig Gleis 4 entbehrlich.« Aber: »Im fortgeschrittenen Projektstadium veränderten sich die Rahmenbedingungen, so dass hier kurzfristig eine Treppe notwendig und auch gebaut wurde.«

Das alles bedeutet wohl: Pech gehabt. Es bleibt, wie es ist. Der Fahrgast muss es ertragen. Damit möchte sich Tobias Behr aber nicht abfinden. Er hat deswegen schon über eine Bürgerinitiative nachgedacht.

Die sauberste Lösung wären offensichtlich zwei zusätzliche Aufzüge. Aber Behr schwebt noch eine kostengünstigere Lösung vor: Ein Ausfahrtssignal für das Gleis 1, welches ja bereits ausreichend mit zwei Fahrstühlen und soliden Steintreppen versehen ist. Eine diesbezügliche Nachfrage bleibt aber unbeantwortet. Ist mit dem abgeblasenen Elektronische Stellwerk jegliche Neuerung bei der Signaltechnik gestorben?

In Falkenberg/Elster diente früher eine übelriechende Unterführung als Verbindung zwischen den Gleisen 1 bis 4. Die Unterführung wurde zugeschüttet. Ansonsten macht der untere Bahnhof noch immer einen desolaten Eindruck. Einzige Ausnahme ist das schmucke Bistro. In dem modernen Gebäude können Cheeseburger und andere Speisen bestellt, Zeitungen gekauft und aus einem extra Regal antiquarische Bücher einfach mitgenommen werden. Es gibt dort, oh Wunder, tatsächlich auch ein kleines Reisezentrum, in dem Fahrscheine verkauft werden.

Vor allem der obere Bahnhof mit den Gleisen 6 und 7 wurde in den Jahren 2005 bis 2009 saniert, und sieht auch heute noch sehr ordentlich aus. Die Baukosten lagen bei rund 3,7 Millionen Euro. Deprimierend ist aber der Blick auf das Fleckchen Erde, wo eigentlich ein Aufzug stehen müsste, der den direkten Übergang von Gleis 7 zu Gleis 2 ermöglicht. »Ein weiterer Aufzug war geplant, wurde jedoch aus Kostengründen verworfen«, bedauert Bahnsprecher Gahler. »Auf Grundlage des damaligen Betriebsprogramms wurde die ausgeführte Variante auch in Abstimmung mit dem Eisenbahnbundesamt als ausreichend betrachtet.« Die Kosten für einen Aufzug seien von vielen Faktoren abhängig, so dass sie nicht genau beziffert werden können. Wie sagt Behr? »Da fasst man sich an den Kopf.«

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