Die Leiden des Nadim Amal

Ein Wanderarbeiter aus Bangladesch und eine Gewerkschaft drohen der FIFA mit einer Klage wegen Katar 2022

Worin zeigt sich die Ungerechtigkeit des Kafala-Systems in Katar am deutlichsten? Jener unseligen rechtlichen Konstruktion aus Sponsor und Angestelltem, die 1,7 Millionen Wanderarbeiter aus Indien, Nepal, Bangladesch, Sri Lanka oder den Philippinen quasi zu Leibeigenen macht? Womöglich lässt sich das Ausgeliefertsein an der Zahl von Millionen Ausgebeuteten schon erkennen, noch besser aber sicherlich an persönlichen Leidensgeschichten wie jener von Nadim Shariful Amal, 32, ungelernter Arbeiter aus Dhaka, Bangladesch. Der niederländische Gewerkschaftsbund FNV hat sich Amals angenommen.

Der Traum vom guten Geld, das auf den Baustellen des Wüstenemirats Katar zu verdienen ist, führte Nadim Amal in Sommer 2014 zu einer Agentur in Dhaka. Allein für deren Vermittlung des lukrativen Jobs in Katar sollte der damals 29-Jährige 350 000 Taka zahlen, umgerechnet 4000 Euro. Weil er so viel Geld nicht besaß, belieh er das kleine Stück Land, das ihm gehörte. Die Gebühr wollte die Firma HBK später zurückzahlen, für die er künftig arbeiten sollte.

Nach Amals Ankunft in Katar im August 2014 wurde ihm von HBK sein Pass abgenommen - so wie es im Kafala-System vorgesehen ist. Amal zog im »Ezdan Labour Camp« ein, wo vorrangig Bauarbeiter untergebracht sind, die an den Stadien für die Fußball-WM 2022 mitbauen. Amals Arbeitgeber HBK ist unter anderem am Al-Wakrah-Stadion beteiligt.

Nadim Amal wurde zum Arbeiten im Hafen eingeteilt, er entlud Sand und Zement von den Schiffen. Harte Arbeit, der Verdienst aber war für Amals Verhältnisse gut. Doch sein Glück in Doha währte nur sehr kurz. HBK kündigte ihm schon nach wenigen Monaten. Und noch schlimmer: Die Firma nutzte die Möglichkeit, die das Kafala-System Arbeitgebern im Umgang mit unliebsamen Mitarbeitern gibt. Man händigte Amal seinen Pass erst unmittelbar vor der Ausreise aus. Der Mann aus Bangladesch sollte keine Chance haben, sich nach einer neuen Anstellung umzusehen.

Als Amal wieder in Bangladesch war, erfuhr er, dass HBK wegen des verfrühten Vertragsendes nur einen Bruchteil der versprochenen Vermittlungsgebühr übernehmen würde - weniger als zehn Prozent von 4000 Euro. Seinen Kredit, für den er sein Land verpfändet hatte, konnte er nicht zurückzahlen. »Deswegen hat Amal bis heute an den Folgen seiner Anstellung in Katar zu leiden«, erklärt die niederländische Gewerkschaft FNV Bondgenoten, die sich des Falles von Amal angenommen hat und den Bangladescher zum Mitglied seiner »internationalen Sektion« gemacht hat.

Die FNV, die insgesamt 1,2 Millionen Mitglieder in den Niederlanden vertritt, richtete in dieser Woche ein Schreiben an den FIFA-Präsidenten Gianni Infantino und fordert den Boss des Fußballweltverbandes darin auf, Verantwortung zu übernehmen für die Situation in Katar - als Markeninhaber der Fußball-WM. »Es ist an der FIFA, ihre Macht zu nutzen, damit die grundlegenden Menschenrechte vom Gastgeberland eingehalten werden.« Im Namen von Amal formulierte die Gewerkschaft gegenüber der FIFA die Androhung einer Klage. Dem Verband werden drei Wochen Frist für eine Reaktion gegeben, andernfalls werde beim Amtsgericht in Zürich die Klage eingereicht, teilte die FNV in Utrecht mit.

FNV und Amal werden von der renommierten Menschenrechtsanwältin Liesbeth Zegveld aus den Niederlanden und dem Schweizer David Husmann vertreten. Sie fordern von der FIFA, dafür zu sorgen, dass sich die Wanderarbeiter frei bewegen können und dass die Rechte der Arbeiter auf den WM-Baustellen deutlich verbessert werden. Für Nadim Amal fordern sie insgesamt 10 000 Euro Entschädigung. In Katar habe er eineinhalb Jahr lang Schiffe entladen, mit Tausenden anderen wie ein »moderner Sklave« unter »schrecklichen Bedingungen« gelebt. Außerdem sei ihm in der Heimat wegen des Kredits ein Schaden entstanden.

Bisher hat der Fußballweltverband noch nicht geantwortet. Der Fall könnte ein Muster für kommende Klagen werden.

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