Die Sprache der Täter

Robert Cohen hat die Gestapo-Akte von Olga Benario studiert

  • Erik Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Im April 2015 wurden in Moskau bisher nicht zugängliche Akten des deutschen Reiches aus russischen Archiven veröffentlicht - unter ihnen ein umfangreiches Dossier von Gestapo-Akten zu Olga Benario. Der Filmregisseur und Autor Robert Cohen hat sich dieser Akte angenommen und sie im Sinne von Peter Weiss zu einem lesbaren Buch bearbeitet. Nachdem Cohen im Jahr 2013 bereits den Briefwechsel zwischen Olga Benario und ihrem Ehemann Luiz Carlos Prestes aus Gefängnis und KZ veröffentlichte, folgt nunmehr der Gegenpart, die technokratische Sprache der Täter - ein schwer erträgliches, aber notwendiges Zeitdokument, da es Einblick in das Räderwerk der Menschenvernichtung gibt.

Frühzeitig schloss sich die 1908 geborene Olga Benario der kommunistischen Bewegung an, wurde Funktionärin des illegalen Jugendverbandes. Spektakulär ihre Befreiungsaktion von Otto Braun aus der Justizvollzugsanstalt Moabit im Jahr 1928, mit dem sie anschließend gemeinsam nach Moskau floh. Von da an war sie im Auftrag der Komintern unterwegs, lernte 1934 den ebenfalls im Exil befindlichen Luiz Carlos Prestes kennen, den brasilianischen »Ritter der Hoffnung«, der Mitte der zwanziger Jahre einen Volksaufstand in Brasilien führte - ein Marsch über fünfundzwanzigtausend Kilometer, der letztlich nach zwei Jahren im Exil endete.

Als 1934 die Unruhe in Brasilien erneut zu brodeln begann, besann sich die Komintern des »Ritters der Hoffnung« und sandte ihn in Begleitung von Olga Benario als Ehefrau erneut nach Brasilien, sich an die Spitze des zu erwartenden Aufstandes zu stellen. Doch dieser Aufstand brach Ende November 1935 zu früh los, wie Prestes und seine Mitverschwörer sofort feststellten - die Stimmung in der Bevölkerung sei noch nicht reif gewesen. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Und auch Luiz Carlos Prestes und Olga Benario sind im März 1936 verhaftet worden. Ende August 1936 beschloss die brasilianische Regierung, die jüdische Kommunistin Olga Benario an Nazideutschland auszuliefern - just in der Zeit, als Stefan Zweig auf der Flucht vor den Nazis seine erste Brasilienreise unternahm und von derselben Regierung hofiert wurde! Olga Benario war im siebten Monat schwanger, als sie Ende September die tödliche Heimreise antreten musste und in »Schutzhaft« genommen wurde.

Von nun an sprechen die Akten. Die Gestapo merkte alsbald - auch durch die einsetzenden internationalen Proteste und Solidaritätsbekundungen -, dass ihr mit Olga Benario »ein großer Fisch« ins Netz gegangen war. Es begann ein bürokratisches Tauziehen um den Status von Olga Benario, die nicht nachweisen konnte, mit Luiz Carlos Prestes verheiratet zu sein - dann nämlich wäre sie (wie ihre im November 1936 geborene Tochter Anita Leocádia) brasilianische Staatsbürgerin. So wurde ihre Ehe nicht anerkannt und beide blieben in »Schutzhaft«. Olga Benario wurde gedroht, dass man ihr das Kind wegnehmen würde, sobald die Stillzeit vorbei ist. Man hoffte, derart Informationen über ihre Tätigkeit bei der Komintern herauszupressen. Denn sie wurde als »Kommunistin gefährlichster Art« angesehen.

Doch Olga Benario blieb standhaft und hielt sich mit Informationen bedeckt. Ihre Tochter wurde ihr im Alter von 14 Monaten genommen und der brasilianischen Schwiegermutter übergeben, sie selbst ins KZ Ravensbrück deportiert. »Es lohnt sich nicht, noch weitere Zeit für sie aufzuwenden«, hieß es lapidar im August 1939. Es wurde die Empfehlung gegeben, »den Vorgang Benario zu liquidieren. Sie ist Volljüdin.« Und da wegen ihrer »unverändert fanatische(n) kommunistischen(n) Einstellung« eine Entlassung nicht in Frage kam, wurde sie wie Abfall im Gas entsorgt. Am 30. April 1942 sei sie an Herzinsuffizienz verstorben, hieß es drei Wochen später in einem Gestapovermerk. Nicht einmal in ihren Geheimakten bekannten sich die zu ihren Morden!

»Der Vorgang Benario«, so Robert Cohen in seinem Vorwort, sei weder ein Geschichtsbuch noch eine Dokumentensammlung - dafür hätten die Dokumente unverändert widergegeben werden müssen. Das jedoch sei keinem Leser zuzumuten gewesen, zu ermüdend seien die sich ständig wiederholenden Formeln, stereotypen Wendungen und Banalitäten des Grauens. Somit waren umfangreiche Eingriffe - bei der Auswahl und durch Kürzen innerhalb der Dokumente - erforderlich, wodurch »die dem Material inhärente Tendenz der Täter, sich selbst zu entlarven«, verstärkt wurde.

Robert Cohen: Der Vorgang Benario. Die Gestapo-Akte 1936 - 1942. Edition Berolina. 188 S. geb., 14,99 €.

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