Gut gemeint reicht nicht

Auf der UN-Konferenz werden Vorschläge diskutiert, wie die zukünftigen Megacitys nachhaltig sein können

  • Sandra Kirchner
  • Lesedauer: 4 Min.

Weltweit zieht es immer mehr Menschen in die Städte. Die werden immer voller und wachsen zum Teil ungezügelt. Schon heute können große Städte Neuankommende kaum erfolgreich einbinden, sie leben in Armut und unter unwürdigen Bedingungen. Das soll sich nach dem Willen der Vereinten Nationen ändern: Auf der Konferenz über Wohnungswesen und nachhaltige urbane Entwicklung (Habitat III) verhandeln die Regierungsvertreter darüber, wie Städte nachhaltiger, integrativer und damit lebenswerter werden.

Eine neue Agenda für Städte ist das Ziel. »Die New Urban Agenda soll die Leitplanken festlegen, in denen sich die Stadtplanung der nächsten Jahrzehnte bewegen wird«, sagt Lisa Junghans, Referentin für Anpassung und urbane Transformation bei Germanwatch. Der Textentwurf enthalte viele gute Absichten wie »Niemand dürfe zurückgelassen werden« - ein Hinweis auf die besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen, die die Folgen des Klimawandels oft zuerst zu spüren bekommen. Ihre Zahl könnte in Zukunft noch steigen.

Innerhalb der nächsten drei bis vier Jahrzehnte werden 3,5 Milliarden Menschen in die Städte ziehen. »Das ist eine Verdopplung der Stadtbevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte«, sagt Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens und Afrikas werden viele Menschen vom Land in die Städte ziehen. 90 Prozent des erwarteten Städtewachstums sollen dort stattfinden.

Doch die enorm schnellen demografischen Veränderungen und der rasante Zuzug von Menschen würden selbst Städte wohlhabender Länder vor erhebliche Herausforderungen stellen. Statt Megacitys sollen deshalb Regionen mit vielen Mittelzentren die Integration von neuen Bürgern erleichtern, so schlägt es zumindest der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) vor.

Auch die Bauweise der Städte muss sich radikal ändern. Statt Zement, Stahl und Aluminium müssen klimaverträglichere Materialien wie Holz, Lehm oder Karbonfaser verwendet werden. Verkehr und die Energieversorgung müssen ebenfalls nachhaltiger werden.

So umfangreich wie das städtische Themenspektrum ist auch die Agenda in Quito: »Sie deckt viele Themen ab und ist aus zivilgesellschaftlicher Sicht positiv«, sagt Junghans. Die Menschenrechte kommen aus Sicht der Expertin noch zu kurz. »Menschenrechtliche Elemente sind in schwacher Form zwar im Textentwurf enthalten, aber es ist unter den Staaten hoch umstritten, inwiefern diese erhalten bleiben sollen.« Nicht wenige Staaten stören sich an bestimmten Formulierungen. Noch einige Tage vor Beginn der Verhandlungen hatte sich eine Gruppe von 17 Ländern unter der Führung Weißrusslands zusammengeschlossen, um die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen zu verhindern. Das könnte den bisher vorliegenden Entwurf verwässern.

Ob die New Urban Agenda überhaupt die entscheidenden Weichen stellen kann, bezweifelt Messner. »Wir haben noch nicht das richtige Narrativ gefunden«, sagt der Politikwissenschaftler. Der Handlungsdruck, der sich aus dem Wachstumsdruck der Städte ergebe, finde sich nicht in dem Papier wieder. Zu unterschiedlich seien die Vorstellungen der UN-Staaten.

Auch Junghans sieht Schwächen: »Die Umsetzung wird in dem Dokument nicht mitgedacht, weil es die Bürger nicht direkt anspricht.« Eine urbane Transformation könne nur erfolgreich sein, wenn die Bewohner selbst aktiv werden. Es fehlen konkrete Handlungsanweisungen für verschiedene Gruppen, so müssen lokale Regierungen die Beteiligten vor Ort nicht bei ihren Entscheidungen einbinden. Doch neben bürgerschaftlichem Engagement, braucht es auch finanzielle Hilfen. »Das ist vor allem in kleineren und mittelgroßen Städten in Entwicklungsländern ein großes Problem«, sagt Junghans.

Ohnehin ist die Agenda nicht bindend, die Regierungen nimmt sie nicht in die Pflicht. Messner glaubt, dass die Beschlüsse trotzdem Wirkung entfalten können, weil Regierungen künftig daran gemessen werden, ob sie Städte fördern. »Wenn sich die Städte zu Klima- und Umweltzielen verpflichten, würde das dem Prozess mehr Dynamik geben«, ist Junghans überzeugt. Deshalb fordert Germanwatch die Städte auf, für sich selbst festzulegen, wie sie in den kommenden Jahrzehnten lebenswerter werden wollen.

Dennoch könnte Quito nach Ansicht von Messner ein Erfolg werden, wenn es gelingt, das Thema auf die Agenda der Weltpolitik zu hieven. »Wenn Deutschland im nächsten Jahr den G20-Vorsitz innehat, dann muss die Bundesregierung das dauerhaft auf die Tagesordnung bringen«, findet er.

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