- Politik
- SPD
Philipp Türmer hört die Signale
Patrick Lempges über das Aufbegehren an der SPD Basis
Monatelang hat die SPD-Basis stillgehalten, Kompromisse geschluckt und sich in Regierungsdisziplin geübt, während die Regierung unter Merz eine Sozialpolitik betrieb, die sich zunehmend an den feuchten Träumen konservativer Rechtsaußen orientierte. Nun hat sie die Schnauze voll: Zuerst die Forderung nach einer höheren Erbschaftssteuer – ein seltener Moment der Einigkeit vom Seeheimer Kreis bis zu den Jusos –, dann der Acht-Punkte-Plan einer Gruppe um Adis Ahmetovic und nun ein Mitgliederbegehren gegen die Bürgergeldverschärfung, angeführt von Juso-Chef Philipp Türmer.
Ist es orchestriert – ein Ventil, um als Partei etwas Dampf abzulassen, wenn nach dem letzten »Kompromiss« mit Merz mal wieder das sozialdemokratische Seelchen schmerzt? Oder ist es ein Zeichen dafür, dass die SPD-Spitze ihre Basis und Hinterbänkler bald ähnlich schlecht unter Kontrolle haben wird wie der Kanzler seine Fraktion? Bisher war der Garant für das Funktionieren dieser Regierung die Leidensfähigkeit der SPD – nun könnte diese Garantie bröckeln. Denn normalerweise kommt es in der SPD erst zum turnusgemäßen Singen der Internationale, wenn sie den Weg in die Opposition antreten muss, beflügelt von der Sicherheit, dass den revolutionären Worten keine Taten folgen müssen. Dass die linke Rhetorik diesmal noch in der Regierung ausbricht, ist bemerkenswert.
Also los Genosse Türmer, reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, genauso wie einst die Juso-Vorsitzenden Scholz oder Schröder. Zu oft sind linke Juso-Chefs gen Neoliberalismus umgekippt, je höher sie die Karriereleiter kletterten. Dennoch scheint es dieses Mal anders: Wenn selbst die Seeheimer beginnen, Reichtum ins Ziel zu nehmen, dann nicht aus ideologischer Nostalgie, sondern aus strategischer Notwendigkeit. Entweder erkennt man, dass diese Politik wirklich geboten wäre – oder man sieht bereits die nächste Wahl vor Augen.
Am Ende sollten wir uns einen vorsichtigen Optimismus und Lob für die Akteure des Aufbegehrens erlauben. Vielleicht ist dieser kleine Aufstand ja tatsächlich der Beginn der Rückkehr der SPD zur Sozialdemokratie. Man kann schlimmstenfalls nur enttäuscht werden – so wie sonst auch.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.