Spaniens Flutkatastrophe: Die Angst sitzt tief

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe in Valencia fühlen sich viele Bewohner im Stich gelassen

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.
Schadensbegutachtung nach der Flut: Ein Anwohner geht am 4. November 2024 in Paiporta in der Region Valencia durch eine Straße.
Schadensbegutachtung nach der Flut: Ein Anwohner geht am 4. November 2024 in Paiporta in der Region Valencia durch eine Straße.

Wenn dunkle Wolken am Himmel über dem spanischen Valencia aufziehen, beschleicht auch viele Bewohner in der nahegelegenen Kleinstadt Catarroja die Angst vor einer neuen Flutkatastrophe wie vor genau einem Jahr: am 29. Oktober 2024. Die Wunden sind tief und auch weiter im Stadtbild betroffener Gemeinden deutlich zu sehen. Schleppende Hilfe und die Verantwortungslosigkeit in der Politik erschweren die Wundheilung. Denn es wäre zu verhindern gewesen, dass nach offiziellen Zahlen allein in der Region Valencia 229 Menschen in den Tod gespült wurden. Die zuständige Regionalregierung hatte die Menschen nicht rechtzeitig vor der Flutwelle gewarnt, obwohl der spanische Wetterdienst schon am Morgen von »sintflutartigen Regenfällen« gesprochen und Alarmstufe Rot ausgelöst hatte (»nd« berichtete aus Catarroja).

»Wir überleben weiter, wie es gerade geht«, erklärt Susy Alfonso frustriert »nd«. Sie hat, abgesehen von ihrem Leben, in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 2024 alles verloren, denn ihr Haus ist nur einstöckig. Was sie besaß, wurde weggespült oder versank im fauligen Schlamm, der mit Fäkalien und Rückständen aus umliegenden Industriegebieten herbeiströmte. Ihr Glück war, dass sie in ihrem Altenheim gearbeitet hat, sonst wäre sie vermutlich eines der Todesopfer.

»Die Versicherung hat noch immer nicht bezahlt«, bringt sie ihren Frust und ihre Wut darüber zum Ausdruck, wie zäh alles läuft. »Das Haus ist zwar sauber, aber mir fehlt das Geld für notwendige Instandsetzungsarbeiten.« Sie muss weiter mit ihren beiden erwachsenen Söhnen bei Angehörigen wohnen. Freiwillige hatten ihr Haus schon im vergangenen Winter gesäubert, auf Hilfe der Institutionen wartete sie vergeblich. Die Bürokratie ist ein riesiges Problem. Man verlangt Dokumente für Hilfen von einer Person, deren gesamtes Hab und Gut weggeschwemmt wurde.

»Derweil hat die Autoversicherung ein wenig gezahlt«, sodass sie sich mit einem Kredit wieder ein Auto kaufen konnte. Die Rechnung für die Kfz-Steuer des alten Autos bekommt sie noch immer. Es wurde abgeschleppt, wohin ist unklar, weshalb sie es bisher nicht abmelden konnte. Ihr Altenheim ist noch außer Betrieb. »Nun setzen sie uns zum Teil mit Hausbesuchen ein.« Meist funktionierten die Aufzüge nicht, weshalb alte und behinderte Menschen ihre Wohnung praktisch nie verlassen könnten. »Wir werden Jahre brauchen, um wieder einen Normalzustand zu erreichen«, verweist sie auf viele noch vernagelte, ehemalige Geschäfte. »Viele sind ruiniert.« Alles gehe sehr langsam, zum Teil funktioniere nicht einmal die Straßenbeleuchtung.

Wird eine neue »Dana« gemeldet, wie das immer öfter auftretende Phänomen des Kaltlufttropfens in Spanien genannt wird, kommt Angst hoch. Nach einer Studie sind ein Drittel der Kinder in der Region traumatisiert und fürchten den Regen. Zwei Dana-Warnungen gab es im Oktober schon, zum Teil erneut mit Alarmstufe Rot. Nun warnte die Regionalregierung aber frühzeitig, Schulen und öffentliche Einrichtungen wurden geschlossen. »Da Abflussrohre weiter mit Schlamm verstopft sind, stand Wasser auch ohne Überflutungen in Catarroja wieder in vielen Wohnungen, das zum Beispiel über Toiletten ins Haus gedrückt wurde«, erklärt Alfonso.

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Es kam zwar auch zu Überflutungen, doch mit »nur« gut 200 Litern pro Quadratmeter blieb das Ereignis, auch lokaler begrenzt, hinter der Katastrophe des Vorjahrs zurück. Mit bis zu 800 Litern in 24 Stunden wurde der Rekord gebrochen, in der Gemeinde Turís waren es sogar 620 Liter in nur sechs Stunden. Die Angst ist groß, dass eine noch schlimmere Katastrophe droht. Das nahe Mittelmeer ist wegen der Klimakrise aufgeheizt wie nie. Es verdunstet sehr viel Wasser. Das kann plötzlich abregnen, wenn es auf Kaltluft trifft, die in großer Höhe die Region erreicht.

Bei vielen in der Region ist die Wut enorm. Das gilt für das Versagen der rechten Regionalregierung, aber auch für das nicht eingehaltene Versprechen der sozialdemokratischen Zentralregierung, schnell und unbürokratisch zu helfen. Am vergangenen Samstag haben mehr als 50 000 Menschen in Valencia demonstriert und den Rücktritt des Regionalpräsidenten der rechten Volkspartei (PP) gefordert, Carlos Mazón. Noch immer ist nicht lückenlos geklärt, wo sich Mazón an diesem Katastrophentag aufgehalten hat. Als er gegen 20 Uhr im Krisenstab eintraf, war die Mehrzahl der Opfer längst ertrunken. Das hat die Richterin Nuria Ruiz aus Catarroja ermittelt. Um 20.11 Uhr wurde die erste Warn-SMS auf die Handys geschickt. Erst 46 Minuten später wurden die Menschen aufgefordert, sich in höher gelegene Bereiche zu begeben. Dabei war die Flutwelle längst durch Catarroja geflossen, wo kein Tropfen vom Himmel fiel.

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