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Ein bisschen Terror

Netzwoche

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die schrecklichst schönste Eigenschaft des Fernsehens ist die der Unterhaltung. Der größte Irrtum besteht darin, dem Medium Fernsehen, wenn es unterhalten will, politische Bildungsarbeit vorzuwerfen. Der allergrößte Irrtum ist es jedoch, den TV-Zuschauern zu unterstellen, sie würden das Medium Fernsehen als Bildungsinstanz wirklich ernst nehmen und nicht in der Lage sein, zwischen dem Schein des Bildschirms und der gesellschaftlichen Realität unterscheiden zu können.

Diesem Irrtum sind in den vergangenen Tagen viele Kritiker des als »größtes TV-Ereignis des Jahres« angekündigten Stücks »Terror« erlegen. Am Montag dieser Woche zeigte die ARD die Filmversion des Theaterstücks »Terror« nach einer Vorlage des Juristen und Autors Ferdinand von Schirach. Dieser schildert in dem Stück den fiktiven Fall eines Kampfpiloten der Bundeswehr, der ein von einem Terroristen entführtes Passagierflugzeug abschießt, um, so seine Rechtfertigung, hierdurch zu verhindern, dass das Flugzeug in ein voll besetztes Fußballstadion gelenkt wird. Der Pilot wird vor Gericht gestellt, es wird verhandelt und am Ende, so der Clou von Schirachs, entscheiden die Zuschauer über schuldig oder nicht schuldig.

Bei der Aufführung in zahlreichen Theatern fiel das Votum mit 60 zu 40 Prozent für unschuldig aus. Die TV-Zuschauer sprachen mit einer Mehrheit von 86,9 Prozent den Piloten frei. Für Daniel Dillmann überschreitet die Verlagerung des Aufführungsortes aus dem Bildungsbürgertempel Theater ins Massenmedium Fernsehen eine ethische Grenze. »Wenn von Schirach eine überschaubare Gruppe in einem Theatersaal ein Urteil fällen lässt, ist das ähnlich zwiespältig, hat aber zumindest den Vorteil, dass die Entscheidung am Ende debattiert werden kann und der Rahmen des Hypothetischen gewahrt bleibt. Niemand geht aus dem Schauspielhaus und glaubt, an einer bundesweiten Abstimmung teilgenommen zu haben«, so Dillmann in seinem Kommentar auf fr-online.de.

Auf sueddeutsche.de wirft Heribert Prantl der ARD und von Schirach vor, um »der bloßen Spannung wegen die Zuschauer genarrt« zu haben. Sie hätten das Publikum »zu einer Entscheidung genötigt, die es in Wahrheit so nicht gibt. Sie haben so getan, als müsse man das Recht verraten, um ihm Genüge zu tun: Sie haben dem Zuschauer verschwiegen, dass das Recht einen Täter schuldig sprechen und ihn trotzdem milde oder gar nicht bestrafen kann«.

Der Kolumnist der »Zeit«, der Bundesrichter Thomas Fischer, urteilt auf zeit.de ähnlich scharf. Die Aufforderung an den Zuschauer, am Urteil »aktiv - als eine Art Geschworener, durch ›Entscheidung über das Schicksal eines Menschen‹ - mitzuwirken, ist eine unverschämte, schwer erträgliche Manipulation der Öffentlichkeit im Namen eines quasistaatlichen Anliegens, ohne dem auch nur die mindesten staatlichen Garantien an Wahrhaftigkeit und Unvoreingenommenheit zugrunde zu legen«.

Dabei war der Film nebst der sich anschließenden Debatte bei Plasbergs »Hart aber fair« doch nur eines: gute Unterhaltung.

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