Volk auflösen
Guido Speckmann über die Folgen des CETA-Gezerres
Warum eigentlich reagiert Kanada so zurückhaltend auf die Meldung, dass sich die belgische Föderalregierung doch noch unter dem massiven Druck der EU mit den widerspenstigen Wallonen auf ein Ja zu CETA hat einigen können? Die EU hat doch Erfahrung, wenn es darum geht, nicht gewünschte Ergebnisse von Volksbefragungen in gewünschte zu verwandeln. Nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zur EU-Verfassung nannte man die Festschreibung neoliberaler Wirtschaftsprinzipien und die Verpflichtung zur Aufrüstung nicht mehr Verfassung, sondern Vertrag von Lissabon. Als die Iren diesen ablehnten, räumte man ihnen Sonderrechte ein. Bei der zweiten Abstimmung sagten sie dann Ja. Vom griechischen Oxi zeigte sich die EU als Teil der Troika unbeeindruckt. Mit den Austeritäts-Programmen geht es weiter ohne Erbarmen.
Und mit dem Nein der tapferen Wallonen sollte sie nicht fertig werden? Immerhin nicht rechtzeitig zur am Donnerstag geplanten feierlichen Unterzeichnung. Abgesehen davon, ob der gefundene Kompromiss die letzten formalen Hürden nimmt, wirft das Vorgehen der EU erneut Fragen auf: Betreibt sie mit der Ignoranz gegenüber demokratischen Willensbekundungen nicht das Geschäft der EU- und Politikverdrossenheit? Mit Brechtschem Sarkasmus sei vorgeschlagen: Möge die EU das Volk doch auflösen und sich ein anderes wählen. Dieses kann dann CETA zustimmen, dem ein von der EU beauftragtes Institut Wachstumseffekte in Höhe von 0,03 Prozent (!) nach sieben Jahren (!) voraussagt.
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