Piraten an die Macht?

Die Parlamentswahl in Island wird zur Generationsfrage / Breite Mitte-Links-Koalition mit Siegchancen

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.

Island ist anders. Das ist nicht bloß eine Floskel. Ob es nun der überraschende und Sympathie gewinnende Außenseiter im Fußball ist oder der Finanzwikinger, der kommt, kauft und sein Land fast ruiniert - in der äußersten Ecke Europas sind Überraschungen zu Hause. So auch bei den am Sonnabend anstehenden Parlamentswahlen, wenn die Piratenpartei die Möglichkeit hat, im Bündnis mit drei anderen Mitte-Links-Parteien die Mehrheit zu gewinnen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen die »Piraten-Welle« längst ausgelaufen und marginalisiert ist, können ihre Vertreter in Island auf über 20 Prozent Wählerzustimmung hoffen. Die Links-Grüne Partei, die zusammen mit den Sozialdemokraten 2009 die undankbare Aufgabe übernahm, im Finanzchaos aufzuräumen, kann mit etwa 16 Prozent rechnen. Für die Sozialdemokraten werden rund sieben und für die Bewegung »Helle Zukunft« etwa fünf Prozent prognostiziert. Diese fünf Prozent könnten entscheidend werden für eine Alternative zur jetzigen bürgerlichen Regierung, da sie auch die Sperrgrenze für einen Parlamentseinzug bilden.

Mit einer klaren Mehrheit jedenfalls darf keines der beiden Lager rechnen, und bei einer traditionellen Wahlbeteiligung von über 90 Prozent könnten die heute noch unentschlossenen Wähler alle Umfragen Makulatur werden lassen. In den vergangenen Wochen haben die bürgerlichen Parteien aufgeholt und traditionelle Anhänger zurückgewonnen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie sich vorzugsweise auf die Generationen über 40 Jahre stützen können, während die jüngeren Jahrgänge vorzugsweise auf die Piraten und linke Parteien setzen.

Die Hoffnung auf Alternativen fußt nicht nur in der tiefen Finanzkrise und dem nur knapp verhinderten Staatsbankrott, sondern auch und vor allem in der Vertrauenskrise, in der die etablierten Parteien und ihre bekannten Politikergesichter stecken. Die Enthüllungen der Panama-Dokumente - in denen auch über 600 Isländer auftauchten, einschließlich des damaligen rechtsliberalen Ministerpräsidenten Gunnlaugsson - machten deutlich, dass das Establishment nichts aus der Finanzkrise gelernt hatte und weiterzumachen gedachte wie zuvor. Am Ende musste Gunnlaugsson aber doch seinen Hut nehmen, und nun gibt es die Chance, die Proteste in politischen Einfluss und Veränderungen umzusetzen. Vielleicht war die unorthodoxe Wahl des Historikers Gudni Jóhannessonzum Präsidenten im Juni dafür der Beginn.

Andere, vor allem junge Leute, glauben allerdings nicht an Änderungen und sind nach Europa und Nordamerika ausgewandert. 2015 schrumpfte die Bevölkerung Islands zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Statistisch gesehen ist die ökonomische Krise zwar überwunden; doch viele Jobs, besonders in der boomenden Touristenindustrie, werden schlecht bezahlt und sind für potenzielle Piraten-Wähler nicht sehr attraktiv.

Das Projekt der Piraten zielt darauf, Islands politisches System zu reformieren, eine neue Verfassung zu erarbeiten und wesentlich mehr Basisdemokratie einzuführen als bisher üblich war. Die Naturreichtümer des Landes sollen verstaatlicht werden, so dass Megaprojekte wie riesige Stauseen und Aluminiumschmelzhütten in unberührter Natur künftig nicht mehr möglich sind. Das könnte aber auch ausländische Investitionen und Arbeitsplätze kosten und verschreckt natürlich einen Teil der Wähler. Anknüpfungspunkte zu potenziellen Regierungspartnern gibt es trotzdem viele, aber auch Gegensätze wie etwa in der Frage einer EU-Mitgliedschaft. So knapp das Wahlergebnis wohl werden wird - vielleicht, so Beobachter in Region, können Islands Piraten und Linke mit einem anderen Zugang zur Politik das Modell für eine bessere Zukunft nicht nur im Nordatlantik finden.

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