Kein radikaler Wandel auf Island

Alternative verfehlte Mehrheit um fünf Plätze / Schwierige Koalitionsverhandlungen nach Parlamentswahl

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.

Wahlprognosen sind die eine Sache, das Verhalten der Wähler eine andere. Das zeigte sich auch bei den isländischen Parlamentswahlen.

Insgesamt verlor die Mitte-rechts-Koalition ihre Mehrheit. Sie bekam 29 Mandate, neun weniger als im bisherigen Parlament. Während jedoch die konservative Unabhängigkeitspartei dazugewann und knapp 30 Prozent der Stimmen errang, verlor die bäuerliche Fortschrittspartei mehr als die Hälfte ihrer Stimmen. Sie war besonders von den Panama-Papers betroffen und als Folge verlies der liberale Flügel die Partei, bildete die Reformpartei und gewann auf Anhieb zehn Prozent. Theoretisch könnten diese Parteien die kommende Regierung bilden, aber entscheidende Fragen wie die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen bilden große Hindernisse.

Enttäuscht dürften auch die Piraten sein, denen die Umfragen über 20 Prozent der Stimmen zugesprochen hatten. Sie erreichten schließlich 15 Prozent. Angesichts ihrer radikal anderen Vorstellungen zur direkten Demokratie und Kontrolle ausländischer Investitionen ist das kein schlechtes Ergebnis. Gerade die Furcht, ausländische Investoren zu verprellen, dürfte viele Isländer aber letztlich davon abgehalten haben, ihre Sympathie für die Piraten in Stimmen umzusetzen.

An ihrer Stelle wählten sie die Links-Grüne Allianz, die schon Regierungsverantwortung getragen hat, und dieses Mal mit 16 Prozent zweitstärkste Partei wurde und das beste Ergebnis in ihrer Geschichte errang.

Bei den Sozialdemokraten gibt es indes wenig zu feiern. Die Partei bekam sechs Prozent der Stimmen, bei der letzten Wahl waren es doppelt so viele. Ganz anders die Bewegung »Helle Zukunft«: Sie übertraf alle Erwartungen und schaffte über sieben Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 72 Prozent niedrig und dürfte der generellen Desillusion vieler Isländer zuzuschreiben sein.

Den möglichen Koalitionspartnern stehen nun schwierige Verhandlungen bevor. Die Reformpartei wird die Rolle des Königsmachers einnehmen. Denn der Mitte-links-Alternative aus Piratenpartei, links-grüner Allianz, Sozialdemokraten und der Hellen Zukunft fehlen fünf Sitze zur Mehrheit. Die ideologischen Unterschiede lassen diese Verbindung jedoch wenig wahrscheinlich erscheinen.

Erwartet wird vielmehr, dass die Unabhängigkeitspartei die Gespräche führen und sich dabei auf die Reformpartei und Links-Grüne Allianz konzentrieren wird, während ihr früherer Koalitionspartner - die Fortschrittspartei - zunächst wieder zu Kräften kommen soll. Undenkbar wäre eine so ungleiche Koalition nicht, zumindest, wenn die Unabhängigkeitspartei genügend Zugeständnisse macht. Sie wäre aber wohl ein Garant für Koalitionsstreit und mangelnde Regierungsstabilität.

Die Unabhängigkeitspartei ist in fast allen Regierungen seit der Unabhängigkeit 1944 führend vertreten gewesen und bildet die vertraute, konservative Partei vieler, insbesondere älterer Isländer. Die Piraten haben von vornherein abgelehnt, mit den früheren und für die Krise verantwortlichen Regierungsparteien zusammenzuarbeiten.

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