Im Handgemenge sozialer Kämpfe

  • Katja Kipping
  • Lesedauer: 2 Min.

Was machen Sozialist_innen eigentlich, wenn sie heiraten? Schon weil der kirchliche Altar für meinen Lebensgefährten und mich ausfällt, lag es für uns und unsere Gäste nahe, einen anderen Ort anzupeilen: den Pergamonaltar auf der Berliner Museumsinsel, mit dem Peter Weiss »Die Ästhetik des Widerstandes« beginnen lässt. In den Eingangspassagen des Romans treffen sich drei junge antifaschistische Widerstandskämpfer in Zeiten des Faschismus. In ihr Gespräch arbeitet Weiss geschickt ein, was unter einer »Ästhetik des Widerstands« zu verstehen ist: dass der politische Widerstand sich immer konkret, im Handgemenge der sozialen Kämpfe bewähren muss und selbst eine sinnlich erfahrbare Dimension hat, und dass die ästhetische Reflexion im Medium der Kunst diese Erfahrungen speichern und zugänglich halten kann. Einer der literarischen Höhepunkte ist für mich die Szene, als die drei jungen Kommunisten mit der Mutter, die erschöpft von schwerer Fabrikarbeit ihre Füße in einem Waschtrog badet, darüber diskutieren, wie man sich Kunst und Kultur aneignen kann. Eine Szene, die nachhaltig immunisiert gegen all jene Rufer, die meinen, mit Antiintellektualismus die Arbeiterklasse anrufen zu können.

Ich lese immer wieder in der Ästhetik des Widerstands, wenn ich Inspiration suche oder wenn ich zweifle. Die Botschaft ist so nüchtern wie tröstlich: Statt uns von oben herab zu belehren, ist es eben jene in unser Leben, unsere Körper, unsere Erfahrung und Gedanken eingelassene »Ästhetik des Widerstands«, aus der sich das sozialistische Projekt speist. Ob und wie wir am Ende gemeinsam so in den Verlauf der Geschichte eingreifen, dass wir die geballte Macht der Oberen überwinden, kann nicht auf einem Masterplan aufgezeichnet werden. Wenn wir uns aber wendig in den Widersprüchen bewegen, wenn wir politische Klugheit und Sensibilität kultivieren und die Perspektive einer grundlegenden Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse nie als Möglichkeit aus den Augen verlieren, dann kann die untergründige Ästhetik des Widerstands zu einer Politik des Widerstands gerinnen - und die Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Katja Kipping ist Vorsitzende der Linkspartei.

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