Wo der Cabernet auf Halde wächst

Aus dem Geiseltal in Sachsen-Anhalt, einst eine tote Landschaft, kommt heute Wein

  • Uwe Kraus, Stöbnitz
  • Lesedauer: 5 Min.

»Die Chemie muss stimmen«, findet Rolf Reifert. Damit meint er zuvorderst die Zusammenarbeit der Winzer vom Geiseltalsee und den Wissenschaftlern von der Hochschule Merseburg. Doch Rolf Reifert - Senior im von seinem Sohn Lars geführten »Weinbau am Geiseltalsee« in Stöbnitz - geht es auch um jene Chemie, die möglichst wenig mit seinen Reben in Kontakt kommen soll. In Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe von Frau Professor Regina Walter und dem Merseburger Hochschullabor werden die 16 000 Rebstöcke oberhalb des Geiseltalsees im Süden Sachsen-Anhalts sozusagen auf eine gesunde Ernährung umgestellt.

»Wir erhalten von dort die Rezeptur, um den Dünger so anmischen zu lassen, dass die Pflanzen optimal ernährt werden.« Rolf Reifert, der vor 19 Jahren als Hobbywinzer begann, erklärt, dass die Weinqualität auf dem Berg gemacht werde. »Darum investieren wir nicht nur viel physische Kraft, sondern haben uns mit Experten zusammengeschlossen - nicht nur von der Hochschule vor Ort, sondern auch mit Partnern, die eigentlich mit Weinbau wenig am Hut haben.« Dazu zählt er die Bodenanalytiker, die gerade festgestellt haben, dass 2017 etwas mehr Bor gedüngt werden muss. Oder jene Fachleute, die untersuchen, wie der Hang organisch aufgewertet werden kann.

45 große Rollen Heu haben die Bodenlebewesen in Jahresfrist zwischen den Reben zersetzt. Über die Zeit hat sich eine kleine Humusschicht am Hang aufgebaut. Die Bodenqualität ist für den Winzer ein und alles, schließlich bestimme die Zusammensetzung der Minerale im Boden die Mostqualität. Wenn die nicht stimme, sei es mit gutem Wein Essig, sagt Reifert. »Wir müssen sehr viel dafür tun.«

Überhaupt ist es wie ein Wunder, dass hier Wein wächst: Denn wo heute auf vier Hektar und vier Versuchsparzellen Trauben geerntet werden, röhrte vor 25 Jahren noch die Bergbautechnik. Mehrere Tagebaue und Brikettfabriken lagen im Geiseltal. Riesige Förderbrücken bestimmten das Bild der zerklüfteten Landschaft. Die Kapelle oberhalb des Weinberges erinnert an die Menschen, die ihre Dörfer verlassen mussten, weil unter denen Braunkohle lagerte, die abgebaggert werden sollte. Nach fast 300 Jahren Abbau rollte 1993 der letzte Kohlezug aus dem Braunkohlerevier im Geiseltal. Die Technik wurde aus dem Tagebau geholt, die Rekultivierung begann, das Wasser stieg und ein riesiger See entstand, den heute Radler und Skater auf knapp 30 Kilometern bestens ausgebauter Strecke umrunden können.

90 Millionen Kubikmeter Erde dienten damals zur Befestigung der Hänge. Dort wollte Reifert einen Hang aufreben. »Alle haben uns für verrückt gehalten! Weinbau auf der Bergbauhalde?« Das unglaubliche Rekultivierungsprojekt der Visionäre ist einmalig auf der Welt, sagen Weinbau-Spezialisten. Doch die Stöbnitzer ließen sich von ihrem Plan nicht abbringen. Der Weinberg wurde 2008 als innovativster Weinberg sogar mit einem Zukunftspreis ausgezeichnet.

2002 ernteten sie die ersten Trauben, deren veredelter Most 2003 in die Flaschen kam. Das sei noch nicht die hohe Qualität von heute gewesen, aber der Beginn einer im besten Sinne fruchtbringenden Zusammenarbeit. »Mit Professor Siegfried Müller leisteten wir damals sprichwörtlich Basisarbeit. Es ging um die Vitalisierung unserer Pflanzen, denn die Mineralisierung haute nicht hin.«

Seit 1930 hatte man den Abraum in Schichten dort verkippt, wo heute Spätburgunder, Cabernet oder Müller-Thurgau an den Hängen wachsen. Zwar findet man im Boden durchaus Kohle-Spuren, aber er gilt als frei von Schwermetallen.

Reifert schaut in die Abendsonne und zählt auf, was alles für den Weinanbau am Standort im Geiseltal spricht. Knapp 300 Stunden mehr scheine die Sonne hier jährlich als im wenige Kilometer entfernten Saale-Unstrut-Graben. Das summiere sich je nach Jahreszeit auf einen bis zu 15 Prozent höheren Energieschub, der den Boden am Weinhang erwärmt.

Der große See mit 17 Quadratkilometer Wasseroberfläche wirkt wie ein Reflektor und schickt Sonnenstrahlen zurück auf den bis zu 28 Prozent ansteigenden Hang, der so liegt, dass immer ein leichter Wind von West durch die Reihe streiche. So trocknen die Weinblätter schnell ab, womit viele Pilzerkrankungen keine Angriffschancen bekommen. Während die Winzer in der Pfalz in diesem Jahr über den hohen Pilzbefall klagten, gab es am Geiseltalsee keine Problem damit, sagt Reifert.

Die Sonne bringt natürlich mit sich, dass die Verdunstung auf dem Kippenboden höher ist als anderswo. »Dem wirken wir mit unserer effizienten Tropfbewässerung entgegen, die wir uns in der israelischen Wüste Negev abgeschaut haben«, berichtet Rolf Reifert. »Im ständigen Kontakt mit den Wissenschaftlern und Studenten, habe ich natürlich auch mein Wissen erweitert.« So forsche man auf einer kleinen Parzelle schon für die Zukunft. Der Klimawandel könnte durchaus mit sich bringen, dass »Rebsorten unter Sonnenbrand« leiden. Sorten aus dem mediterranen Raum wurden zum Pfropfen genutzt, aus der Zucht des Schweizers Valentin Blattner wurden drei pilzresistente Sauvignon-Sorten auf die Probefläche gesetzt.

Längst dröhnen am Weinberg »Goldener Steiger« von Geiseltalsee-Winzer Lars Reifert statt Bergbaumaschinen die Allradfahrzeuge am Hang. »Vollernter« sind ebenso im Einsatz wie Schlepper mit mechanischen Hacken, die eingesetzt werden, weil die Winzer das Unkraut nicht mit Chemie wegspritzen, sondern den Boden durch Mulchen verbessern wollen. Dass neben ihren Reben unterdessen auch Messgeräte stehen, gehört bereits zum Alltag. Mit ihnen wird die Feuchtigkeit im Boden bestimmt, dann wird dementsprechend die Beregnung gesteuert. Für die Reiferts ist der Schlüssel für den Erfolg ihrer Weine - Cabernet Mitos, Grau- und Weißburgunder - nicht nur die Summe von Standort, äußeren Bedingungen und »Bodenarbeit« sondern auch die Bündelung der Kompetenz ihrer Partner. Alle acht Wochen kommen die Winzer mit den Vertretern der Hochschule Merseburg zur »Manöverkritik« zusammen. Zwischenzeitlich werden Boden, Trauben und Holz untersucht, zudem betreiben die Experten Blattanalytik. Selbst Berliner Biologen steigen den Hang hinauf. Sie entdeckten pro Hektar 14 Gottesanbeterinnen, im Feuchtgebiet am Fuß der Hänge Knoblauchkröten, im Berg Zebraspinnen und eine Kolonie Bienenfresser.

Sehr ungelegen kommen dagegen den Weinbauern die Waschbären, die sich an den Trauben unweit ihrer Straußwirtschaft gütlich tun. »Da müssen dann die Jäger mit ihren Fallen ran.« Ob deren Einsatz dann mit Wein abgegolten wird? Das lässt Rolf Reifert offen.

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