Im Wartestand

Opposition drängt darauf, den Nachzug von Flüchtlingsfamilien zu erleichtern

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

»Aus Ihren Darlegungen ist nicht ersichtlich, dass Sie oder ein Mitglied Ihrer Familie auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitgliedes durch Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft dringend angewiesen ist.« Mit dieser Begründung lehnte die deutsche Botschaft in Beirut den Antrag einer Familie aus Qamishli im Nordosten Syriens ab. Die Eltern und drei Kinder (sechs, zehn und 13 Jahre alt) wollten dem inzwischen 16-jährigen Sohn folgen, der Anfang des Jahres in Deutschland Asyl erhielt. Die Eltern bekamen das gewünschte Visum, die drei minderjährigen Kinder nicht. Der Kommentar der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die den Fall öffentlich machte, lautete: »Dass ein Kind im Alter unter zehn Jahren mittlerweile «darlegen» muss, warum es auf seine Eltern angewiesen ist, ist leider nicht nur die Ansicht einzelner deutscher Auslandsvertretungen, sondern auch die einiger Ausländerbehörden in Deutschland. Denn auch die hier zuständige Behörde in Deutschland verweigerte ihre Zustimmung zur Erteilung des Visums.«

Ähnlich liegt der Fall einer syrischen Familie in Ankara, den Pro Asyl beschreibt: Den Eltern der Kinder wurden Visa zum Nachzug zu ihrer 16-jährigen Tochter in Deutschland gewährt, allerdings müssten sie, so sie denn als Paar nach Deutschland kommen würden, ihre beiden kleineren Kinder (derzeit neun und sieben Jahre) zurücklassen. Eine außergewöhnliche Härte, so die Botschaft, liege für die Familie dadurch nicht vor.

Dass diese Härte nichts Außergewöhnliches ist, mag angesichts der Praxis deutscher Behörden stimmen. Jedoch widerspricht sie einem bis vor einigen Monaten geltenden Rechtsverständnis in Deutschland. Mit dem Inkrafttreten des Asylpakets II im März endete es. Lag die Anerkennungsquote der Asylanträge von syrischen Kriegsflüchtlingen noch im ersten Quartal 2016 bei nahezu 100 Prozent, wird ihnen die volle Flüchtlingsanerkennung nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention seit März nicht mehr ohne weiteres zugestanden. Vielmehr wird dafür subsidiärer Schutz, das heißt ein leichter widerrufbarer Schutz gewährt. Bestandteil dieses »minderen Schutzstatus« ist, dass der Familiennachzug seit März für zwei Jahre ausgesetzt ist.

Seitdem sei die Zahl der subsidiär Aufgenommenen massiv angestiegen, ohne dass sich die Lage in den Herkunftsländern grundlegend geändert habe, stellt die Linksfraktion im Bundestag fest. Am Donnerstag befasste sich das Plenum mit ihrem und einem Antrag der Grünen, die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs aufzuheben.

Die Linksfraktion wirft der Bundesregierung zudem Wortbruch vor. Denn als der Bundestag das Asylpaket II beschloss, wiegelte die Bundesregierung kritische Fragen ab. So sei der Eindruck erweckt worden, die Aussetzung des Familiennachzugs werde nur wenige Personen betreffen, obwohl das Gegenteil beabsichtigt war.

Inzwischen sei die Entscheidungspraxis des Bundesamtes deutlich verändert worden. Während im Jahr 2015 noch insgesamt 1707 Personen einen niederen, subsidiären Schutzstatus erhielten, betraf dies bis Ende September 2016 bereits knapp 90 000 Menschen, so die LINKE. In all diesen Fällen greift die Aussetzung des Familiennachzugs. Die LINKE macht eine klare politische Vorgabe der Regierung an das Bundesamt aus, wonach eine Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention »nicht mehr die Regelentscheidung« sei. Dabei habe der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Schwabe, in den Debatten über das Gesetz sich auf Bundesinnenminister Thomas de Maizière berufen, der auf mehrfache Nachfrage versichert habe, dass es keine Veränderung der Anerkennungspraxis geben wird.

Zur Aussetzung des Familiennachzugs kommen unzumutbare Wartezeiten an deutschen Botschaften, wie in dem Gesetzesantrag bemerkt wird. Mitte 2015 betrug die Wartezeit etwa in Beirut 15 Monate, in der Region warteten etwa 90 000 bis 100 000 Familienangehörige bereits anerkannter Flüchtlinge auf einen Termin zu Visabeantragung. Der Antrag der LINKEN zielt daher auf drei Punkte: Neben der Beendigung der Familientrennung für Menschen mit subsidiärem Schutz sind dies die volle Anerkennung der Kriegsflüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention sowie die Beseitigung der unzumutbaren Wartezeiten für Visaanträge an den Botschaften. Die Anträge beider Oppositionsfraktionen wurden in den Innenausschuss verwiesen.

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