Berlin scheut Bruch mit Ankara

Steinmeier dringt auf Dialog mit der Türkei / LINKE fordert Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen

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Berlin. Deutschland will sich trotz der jüngsten Verhaftungswelle gegen Oppositionsabgeordnete und Journalisten wieder um engere Kontakte zur Türkei bemühen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fliegt dazu kommende Woche erstmals seit dem Putschversuch Mitte Juli nach Ankara. Im Bundestag gab es am Donnerstag von allen Parteien massive Kritik am Vorgehen des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen die Opposition.

In einer Aktuellen Stunde machte Steinmeier deutlich, dass die Bundesregierung mit Erdogans Politik nicht einverstanden ist. Der SPD-Politiker mahnte vor seinem Besuch am Dienstag: »Aus Polarisierung und grenzenloser Konfrontation ist noch nie Gutes erwachsen.« Die Türkei stehe heute an einer »Wegscheide«, ob sie sich weiter in Richtung Demokratie entwickele oder nicht. Steinmeier warnte aber auch vor »einfachen Lösungen«.

Das Verhältnis zwischen beiden Staaten ist wegen verschiedener Themen seit mehreren Monaten erheblich belastet. Erdogan warf Berlin zuletzt mehrfach vor, in Deutschland »Terroristen« Unterschlupf zu bieten. Steinmeier wies dies erneut zurück. Zudem gab es aus der Türkei Kritik, dass es Berlin nach dem Putschversuch an Unterstützung habe fehlen lassen. Als einziger Bundesminister war seither Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) zu Besuch.

Die Oppositionsparteien LINKE und Grüne forderten, gegenüber Erdogan entschiedener auf die Einhaltung von Demokratie und Menschenrechten zu drängen. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf der Bundesregierung eine »Appeasement-Politik« (Beschwichtigungspolitik) vor. »Es ist konkretes Handeln notwendig, nicht nur Worte.« Er verlangte, die Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei sofort zu stoppen.

Die Grünen-Abgeordnete Claudia Roth sagte: Erdogan verbreite zwar Angst und Schrecken. Zugleich warnte sie jedoch davor, die der Türkei die Tür nach Europa zuzuschlagen. »Zivilgesellschaft und Opposition in der Türkei brauchen uns mehr denn je.«

Ungeachtet von bilateralen Verstimmungen soll der Bundeswehr-Einsatz gegen den Islamischen Staat (IS) von türkischem Boden aus fortgeführt werden. Mit den Stimmen der Koalition wollte der Bundestag am Donnerstagabend eine Verlängerung des Mandats beschließen. Derzeit sind rund 250 deutsche Soldaten auf dem NATO-Stützpunkt Incirlik in der Türkei stationiert, die sich vor allem an Aufklärungsflügen über Irak und Syrien beteiligen.

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sprach sich gegen eine Verlängerung des Mandats aus. »Wir haben uns schon beim Flüchtlingsdeal in die Hand der Türkei begeben. Wir dürfen das in Incirlik nicht schon wieder tun. Das ist auch eine Frage der Selbstachtung«, erklärte Kujat. Maßnahmen, die Ankara jetzt treffe, seien die eines totalitären Systems. Agenturen/nd

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