- Politik
- Personalmangel
Anhaltende »Kitastrophe« in NRW
In der Kindertagesbetreuung gab es seit Jahresbeginn wieder erhebliche Ausfälle
»Nichts ist besser geworden«, sagt Dennis Maelzer. Der familienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag meint damit die nach wie vor mangelhafte Kita-Betreuungssituation in Nordrhein-Westfalen. Wie die schwarz-grüne Landesregierung auf SPD-Anfrage kürzlich kundtat, sind von den rund 10 700 Kitas im Land seit Jahresbeginn 3991 Einrichtungen von (Teil-)Schließungen und Angebotsreduzierungen betroffen. Das sind immerhin knapp 40 Prozent aller Kindertagesstätten an Rhein und Ruhr.
»Die Lage in den Kitas entspannt sich nach wie vor nicht«, so Maelzer. Das zeige, wie grundsätzlich das Problem sei. Leidtragende sind Kinder, die durch Ausfall Nachteile in ihrer sozialen Entwicklung und frühkindlichen Bildung befürchten müssen. Und natürlich die berufstätigen Eltern der Kita-Kinder.
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Carina Mai wohnt in Duisburg und arbeitet in Essen. An ihrem Wohnort seien die Probleme in der Kita, was Ausfall, Schließung und Betreuung angeht, massiv. Laut Statistiken fallen in Duisburg und anderen Ballungsräumen besonders häufig Betreuungszeiten aus, oder es wird eine »Reduzierung der Platzzahl« vorgenommen. In Duisburg gibt es 214 Kitas. Von Januar bis Ende April habe es hier allein 209 Meldungen wegen »Personalunterdeckung« gegeben, teilte die Landesregierung weiter mit. Kitas müssen seit einigen Jahren diese Meldungen laut Sozialgesetzbuch machen, wenn Personal bei ihnen ausfällt. Von den 209 Meldungen waren 69 Einrichtung betroffen. Mindestens 122 Mal wurden die vorhandenen Plätze daraufhin reduziert und 83 Mal Betreuungszeiten verkürzt.
»Fast jede Woche fällt einmal die Kita für meinen Sohn komplett aus«, so Mai. Das erfahre sie dann oft erst, wenn sie ihren Sohn zur Kita bringt. »Manchmal, wenn es gut läuft, bekommen wir auch in der Whatsapp-Gruppe der Eltern eine Nachricht, etwa eine halbe Stunde vor Öffnung der Kita, dass nur begrenzt Plätze in der Gruppe zur Verfügung stehen.« Dann gelte, wer zuerst kommt, malt zuerst. Obwohl dieses Windhundprinzip eigentlich laut Angaben des Jugendamtes in Duisburg von 2023 abgeschafft werden sollte, wird es offenkundig von Mais Kita weiter praktiziert. Übrigens eine städtische Kita.
Planbarkeit und Alltagsleben gebe es so nicht. »Mal wird gestreikt, dann ist Betriebsversammlung, dann Krankheit, was doch oft vorkommt.« Krankheitsbedingte Ausfälle, vor allem kurzfristige, sind die Hauptursache für Personalausfall. »Dazu kommen psychologische Belastungen und Erkrankungen durch Stress, zu wenig Personal, steigende Ansprüche von Eltern, Trägern«, ergänzt Lisa-Isabell Wahr von Verdi gegenüber »nd«. Die Landesregierung sieht für den Zeitraum der ersten vier Monate des Jahres »einen Zusammenhang zwischen allgemeinem Infektionsgeschehen und Ausfall-Meldungen«. Dass generell zu wenig Erzieherinnen vorhanden sind, trotz leicht verbesserter Rahmenbedingungen, die Verdi seit 2005 erkämpft hat, wird nicht erwähnt. Ebenso nicht, dass Personalmangel zu Stress und Verdichtung der Arbeit beim verbliebenen Personal führen kann und später, wenn der Stress zur Qual wird, zu erneuten Ausfällen.
Mai ärgert sich auch über den Ausfall vieler Angebote, die eigens im vergangenen Kita-Jahr die »Maxi«-Kinder an die Schule heranführen sollen. Besuche, Ausflüge oder Verkehrssicherheitstrainings. »Die werden einfach ersatzlos gestrichen, wenn Personalmangel ist oder Dozenten absagen.« Ein Plan B existiere oft nicht. Von der Stadt Duisburg lag bis zur Veröffentlichung keine Stellungnahme zu der gesamten Problematik vor.
Irritiert sind auch andere Eltern in Mais Kita über die hohe Fluktuation beim Kita-Personal. Das ist oft ein Indiz dafür, dass es ein Problem im Team oder mit den Leitungen gibt. Tatsächlich sind in besagter Kita einige Erzieherinnen in Rente gegangen oder haben die Kita (wieder) verlassen. Immer wieder müssten »Springer« kurzfristig aushelfen. »Am nächsten Tag sind die Springer dann aber wieder woanders, um dort Löcher zu stopfen«, so Mai.
Mai hat die Reißleine gezogen. Das will sie ihrer jüngsten Tochter, die im August hätte in dieser Kita eingewöhnt werden sollen, nicht antun. »Sie bleibt einfach ein Jahr länger bei ihrer Tagesmutter. Dann suchen wir uns eine neue Kita«, so Mai.
»Fast jede Woche fällt einmal die Kita für meinen Sohn komplett aus.«
Carina Mai Mutter aus Duisburg
Zwar schaffen es zuletzt immer mehr Kommunen in NRW, auch Duisburg, die hohe Zahl an Vakanzen zu reduzieren, dennoch bleibt der Fachkräftemangel in Kitas ein drängendes Problem.
Städtische Jugendämter kämpfen immer um Haushaltsgelder, aber noch mehr trifft es vor allem die Träger. Sie sind SPD-Politiker Maelzer zufolge auf Kante genäht. »Es fehlt ihnen schlicht und ergreifend das Geld, um ausreichend Personal vorzuhalten.« Da das Land die Mittel zur Unterstützung der freien Wohlfahrt und weiterer Akteure sukzessive herunterfährt, bauten viele Personal ab. »Wir brauchen endlich eine zusätzliche finanzielle Unterstützung durch das Land und schließlich eine Reform des Kinderbildungsgesetzes, mit dem die Finanzierung der Kitas neu geregelt wird«, fordert Maelzer.
Der Ursprung des Problems des offenkundig gewordenen »eklatanten Personalmangels«, wie Wahr es nennt, liegt weit zurück. »Durch jahrzehntelange Fehlplanung, die Selbstfinanzierung der Ausbildung (heute in Teilen nicht mehr), unattraktive Arbeitsbedingungen und mangelnde Wertschätzung für die Arbeit der Kollegen in Politik und Gesellschaft«, sei der Beruf der Erzieherin bis heute nicht attraktiv.
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