Keine Wärme ohne Zeit und Geld

Konferenz zeigt hohen Reformbedarf bei der zukünftigen Gestaltung der Pflege

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Die künftige Gestaltung der Pflege gehört zu den großen, bislang ungelösten gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland. Experten und Fachpolitiker warnen seit Jahren vor einem drohenden Pflegenotstand, da es schon jetzt an Fachpersonal mangelt und die Anzahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahrzehnten deutlich steigen wird.

Das »Bündnis für gute Pflege«, in dem sich außer Gewerkschaften und Sozialverbänden auch Pflegedienstleister und Betroffeneninitiativen zusammengeschlossen haben, versucht seit Jahren, mit Kongressen und Kampagnen Politik und Öffentlichkeit für das drängende Thema zu sensibilisieren. »Mehr Personal in der Pflege - jetzt!« war das Thema einer Veranstaltung am Donnerstag in der Bundeszentrale der Diakonie in Berlin.

Die eingeladenen Fachpolitiker der Bundestagsparteien hatten wegen wichtiger Abstimmungen, die im Parlamentsplenum anstanden, leider abgesagt. Dennoch gab die abschließende Podiumsdiskussion einen guten Überblick über die Positionen der im Pflegebereich engagierte Akteure.

Zwar begrüßten alle Teilnehmer die von der Bundesregierung mit dem »Pflegesicherungsgesetz II« auf den Weg gebrachten Reformen, mit denen ein weitgehend neues System der Begutachtung und Einstufung von Pflegebedürftigkeit geschaffen wurde, das nach Inkrafttreten auch Konsequenzen für die Personalausstattungsquoten haben wird. Doch das sei »reine Theorie«, erklärte Witold Konermann. Altenpfleger und ver.di-Personalrat in einem städtischen Pflegeheim in Stuttgart. Bereits die geltenden Personalrichtlinien stünden nur auf dem Papier. Würden Kollegen krank, »bricht bei uns das blanke Chaos aus«. Es sei ein »Mythos«, dass das neue Pflegegesetz daran etwas ändern könne. »Wir werden auch künftig im Akkord von Zimmer zu Zimmer rennen«. Daran werde sich auch nichts ändern, solange es für profitorientierte private Betreiber äußerst lukrativ sei, die Personalausstattung sowie die Bezahlung der Pflegekräfte so knapp wie möglich zu halten, so Konermann. Das Problem sei, dass viele Beschäftigte in der Pflege keine Bereitschaft zeigten, Konflikte um die Arbeitsbedingungen offen auszutragen, weil sie Repressalien seitens des Arbeitgebers fürchten, oder aus falsch verstandener moralischer Verantwortung gegenüber den Hilfsbedürftigen. Dabei müsse jedem klar sein, »dass ausgebrannte Pflegekräfte keine Wärme geben können«.

Das Problem sieht auch Silvia Svoboda, die bei der Volkssolidarität den Bereich Pflege leitet. Einrichtungen, die Tariflöhne bezahlten, sich konsequent an den Personalrichtlinien orientierten und auf den Einsatz von Leiharbeitsfirmen verzichteten, seien oftmals nicht konkurrenzfähig, da die damit entstehenden Mehrkosten von den Pflegekassen nicht übernommen würden. Das führe dazu, dass von den Pflegebedürftigen höhere Eigenanteile verlangt werden müssten, was angesichts steigender Altersarmut aber nicht realistisch sei. Daher sei die Kostenkalkulation auch für gemeinnützige Einrichtungen ein »sehr schmaler Grat«.

Für Christiane Lehmacher-Dubberke vom AOK Bundesverband ist es eine Art Geburtsfehler der 1995 eingeführten Pflegeversicherung, dass diese nach dem Teilkaskoprinzip arbeitet und nur 40 Pozent der Pflegekosten übernimmt. Auch verhindere die föderale Struktur der Bundesrepublik, dass einheitliche Standards für Pflegesätze und Personalausstattung durchgesetzt werden können. Effektive Kontrollen der tatsächlichen Personalausstattung kollidierten wiederum mit dem Datenschutz. Sie sehe allerdings durchaus Möglichkeiten, vorhandene Mittel anhand des neuen Gesetzes zielgerichteter und effektiver einzusetzen. Zudem müsse allen Akteuren klar sein, dass eine gute Pflege für alle eben viel Geld kostet, was auch weitere Erhöhungen der Beitragssätze zur Pflegeversicherung beinhalte.

Einig waren sich die Podiumsteilnehmer, dass die Pflege hilfsbedürftiger Menschen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, die nicht den »Gesetzen des Marktes« überlassen werden darf. Die Lebensqualität der zu Versorgenden müsse dabei im Mittelpunkt stehen, aber die Wahrnehmung und Wertschätzung derjenigen, die diese Arbeit leisten, sei ebenfalls ein entscheidender Faktor, mahnte der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder, der bis 2014 als Staatssekretär im brandenburgischen Sozialministerium tätig war. Wenn es nicht schleunigst gelinge, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten, seien alle wohlmeinenden Pläne der Politik für die Verbesserung der Pflegequalität umsonst.

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