Reden über Integration

In der Praxis kollidiert ehrenamtliche Hilfe oft mit realen Verhältnissen

  • Lesedauer: 2 Min.

Dass in Deutschland zu wenig über Integration geredet würde, kann man nicht sagen. An diesem Dienstag ist Integration das bestimmende Thema auf dem Arbeitgebertag; die Bundeskanzlerin lässt es sich nicht nehmen, die Hauptrede zu halten. Am Montag lud Angela Merkel zum inzwischen 9. Integrationsgipfel, teilnehmende Vereine hatten sich mit einem Forderungskatalog bereits vor dem Treffen selbstbewusst positioniert. Am 3. November folgten Gruppen und Verbände, die sich in der Flüchtlingshilfe und Integration engagieren, einer Einladung Merkels zum Gespräch.

Also: viel Austausch, offenbar motiviert von der Erkenntnis, dass es hier um ein grundsätzliches Problem geht. Real kollidiert das offizielle Bekenntnis zur Integration jedoch mit den Erfahrungen, die ehrenamtliche Helfer durch die Betreuung von Flüchtlingen machen - durch die in den letzten Monaten herbeigeführten Verschärfungen der Asylgesetzgebung. Freiwillige Integrationsbemühungen »von unten« stoßen auf Integrationsverhinderung »von oben« - bei gleichzeitigem offiziellen Lob.

Eine im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellte qualifizierte Studie kam zum Ergebnis: »Freiwillige Flüchtlingshelfer lassen nicht nach in der Hilfe und stärken Willkommenskultur.« Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Berliner Humboldt-Universität kommt zum Schluss, dass »viele Initiativen inzwischen dabei sind, sich zu institutionalisieren und beispielsweise Vereine gründen«. Die Helfer übernähmen nach wie vor »unter anderem Aufgaben, die normalerweise der Staat leisten müsste, wie zum Beispiel die Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum«. Zudem träten sie als Vermittler zwischen Geflüchteten und Behörden auf. Damit Integration gelingt, müssten Autonomie und Mitsprache der Engagierten und der Geflüchteten geachtet werden.

Dies aber stößt notgedrungen schnell an Grenzen, wo Behörden das Engagement nur unter Vorbehalt und mit Auflagen unterstützen. So werden Deutschkurse, zu denen Migranten immer wieder gemahnt werden, nur Flüchtlingen mit Bleibeperspektive bewilligt. In der Praxis entstehen dadurch monatelange Wartezeiten. Überdies reichen die Plätze nicht - staatlich angebotenen 100 000 Kursen stünden derzeit mehr als 220 000 Menschen gegenüber, berichtete Pro Asyl Ende Oktober.

Ehrenamtliche unterscheiden hingegen in ihren Deutschkursen wie generell in ihrem Engagement nicht zwischen Asylsuchenden mit »guter« und »schlechter« Bleibeperspektive. Dies dürfte ein Grund sein, warum Helfer und Behörden selten auf gleicher Augenhöhe agieren, wie die Bertelsmann-Studie feststellt. Dies dürfte ein Grund auch dafür sein, dass freiwillige Helfer, aber auch Geflüchtete die Einladung zu Arbeitstreffen auf allen Ebenen nicht selten als Alibi empfinden. uka

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