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Leidenschaftlich und mutig

Die Antikriegsbriefe der Clara Zetkin von 1914 bis 1918

  • Rainer Holze
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Jahrhundertbriefwechsel »Käte und Hermann Duncker«, herausgegeben von Heinz und Ruth Deutschland, ist nun im Berliner Karl Dietz Verlag eine weitere bemerkenswerte Edition erschienen: die während des Ersten Weltkrieges geschriebenen Briefe der Clara Zetkin. Zwei weitere Bände mit ihrer Korrespondenz bis zu ihrem Tod 1933 sollen folgen.


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* Marga Voigt (Hg.): Zetkin. Die Kriegsbriefe. Band I: 1914 - 1918. Karl Dietz. 559 S., geb., 49,90 €.


Marga Voigt hat über Jahre in Archiven gründlich recherchiert, ist auch nach Moskau geflogen, um dort ebenso fündig zu werden. Der Aufwand hat sich gelohnt. Erstmals werden der interessierten Öffentlichkeit die Antikriegsbriefe der Zetkin zusammenhängend präsentiert, versehen mit einer klugen Kommentierung. Die Herausgeberin, Bibliothekarin und Slawistin, hat 172 Briefe, 27 Postkarten und etliche Telegramme, einschließlich Entwürfe und Notizen, studiert. 152 der in diesem Band enthaltenen Dokumente werden zum ersten Mal veröffentlicht. Eine bemerkenswerte Leistung. Bislang waren nur 47 Zetkin-Briefe vollständig publiziert.

Die veröffentlichten Briefe belegen eindrucksvoll Zetkins unablässiges Wirken gegen das vierjährige Völkermorden 1914 bis 1918 mit seinen verheerenden Folgen - nicht zuletzt auch für die internationale Arbeiterbewegung. Die linke Sozialdemokratin stritt gegen die Burgfriedenspolitik ihres Parteivorstandes und trat für einen Friedensschluss ohne Annexionen und Kontributionen ein. Die schriftlichen Zeugnisse spiegeln ihre Eigenständigkeit, Entschiedenheit und Prinzipientreue wider wie auch ihr rhetorisches Talent und die Überzeugungskraft ihrer Argumente im politischen Diskurs.

Deutlich wird, dass Clara Zetkin sich keinen Illusionen hingab, nüchtern die gesellschaftliche Realität analysierte. Eine Massenmobilisierung für den aktiven Friedenskampf schätzte sie unter den Bedingungen des inneren Belagerungszustandes und eines Zweifrontenkrieges als schwierig ein. Ihre Skepsis offenbart bereits ein Brief vom 5. August 1914 an Rosa Luxemburg und Franz Mehring. Dessen ungeachtet nutzte Clara Zetkin alle sich ihr bietenden Foren, Kriegstreiber und Kriegsprofiteure anzuklagen und die Massen zu gewinnen, u. a. in der von ihr redigierten Frauenzeitschrift »Gleichheit«. Zu ihren engsten Verbündeten gehörten neben Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Karl Liebknecht die französische Revolutionärin Inès Armand, die Bolschewikinnen Alexandra Kollontai und Angelica Balabanoff und Heleen Ankers von der niederländischen proletarischen Frauenbewegung.

Die Briefe geben zudem Auskunft über Zetkins Alltag in den Kriegsjahren. Er war überschattet von Hausdurchsuchungen, Schikanen der Zensur, Unterschlagungen ihrer Post, Spitzel vor ihrem Haus bis hin zu Verhaftungen. Die physischen und psychischen Belastungen führten zu körperlicher Erschöpfung, nagten an ihrer Gesundheit. Ungeachtet dessen knüpfte sie als gewählte Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale geschickt die mit Ausbruch des Weltkrieges zerrissenen Fäden ins Ausland wieder neu. Es war vor allem ihr Verdienst, dass Proletarierinnen als erste gegen den Krieg auf öffentlichen Straßen und Plätzen demonstrierten und somit schließlich den internationalen Antikriegskampf anstießen. Zetkins Initiative waren das Zustandekommen und die Programmatik der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz im März 1915 in Bern zu verdanken.

Die Edition belegt Zetkins starke Entfremdung von den kriegsbefürwortenden sozialdemokratischen Führern und ihre sukzessive Ausbootung aus einer Partei, dessen Gesicht sie mehr als zwei Jahrzehnte wesentlich mitgeprägt hatte. »Das Abkippen der internationalen Sozialdemokratie … in eine selbstverschuldete Unmündigkeit, zurück unter die bürgerliche Vormundschaft, der einst Lassalle die junge Arbeiterschaft entwunden hatte, ließ Clara Zetkin - nach eigenen Worten - fast wahnsinnig werden und an Selbstmord denken«, schreibt Jörn Schütrumpf im Nachwort, Bezug nehmend auf den in diesem Band veröffentlichten Brief vom 3. Dezember 1914 an Heleen Ankers.

Der Historiker und Verleger Schütrumpf macht zudem auf Forschungslücken, Einseitigkeiten und Versäumnisse in der Erforschung der Geschichte der 1917 gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschland (USPD) aufmerksam, deren Mitglied Clara Zetkin war und aus der sie im März 1919 austrat, um zur KPD zu wechseln. Die Edition reflektiert die innerhalb der USPD geführte Debatte über die Oktoberrevolution 1917 in Russland, die hauptsächlich in der von Rudolf Breitscheid herausgegebenen Korrespondenz »Sozialistische Auslandspolitik« geführt wurde. Wiederveröffentlicht ist hier dankenswerterweise auch Zetkins umfangreicher Brief »Über die Stellungnahme unserer Presse zu den Bolschewiki« vom September 1918.

In einer Zeit neuer Kriege, an denen sich Deutschland wieder aktiv beteiligt und eventuell künftig eine größere Rolle in der NATO einnimmt, sind Zetkins Antikriegsbriefe von höchster Aktualität.

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