Planlos in die nächste Krise

Griechenland soll Schulden abbauen und kürzt kräftig im Bildungssektor, während ein Großteil des hochqualifizierten Nachwuchses das Land verlässt. Wird die Linksregierung in Athen unter diesem Druck das Verbot für Privatunis aufheben? Von Isidor Grim

  • Isidor Grim
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Herrschaftstechnik, linke, progressive, arbeiterorientierte Regierungen, selten wie sie sind, ständigem Privatisierungsdruck auszusetzen, sie zum Sozialabbau zu pressen und ihnen generell den Geldhahn abzudrehen - wo könnte man das schöner beobachten als in Griechenland? Dort fühlt man sich mit dem scheidenden US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama verbunden, historisch, aber auch sozialpolitisch, da auch er tagtäglich gegen eine konservativ-liberale Blockade anzukämpfen hatte. Mit seiner letzten Auslandsreise, die nicht zufällig über Athen nach Berlin führte, verband die Regierungspartei SYRIZA die Hoffnung auf Unterstützung gegenüber Deutschland bei der Frage des Schuldenschnitts, den Griechenland so dringend benötigt, um ökonomisch wieder auf die Beine zu kommen.

Der Privatisierungsdruck ist konstant und kommt nicht nur vom IWF und der EU, sondern genauso von innen. Ende September hielt der PASOK-Angeordnete und ehemalige Minister Evangelos Venizelos im Parlament eine Rede, in der er der Regierung vorwarf, sie gebe nicht die richtigen Wachstumsimpulse, es fehlten Investitionen, Liquidität, und die der Euro-Gruppe zugesagten Maßnahmen zur Privatisierung von Staatsvermögen in Höhe von 50 Billionen Euro seien nicht weitreichend genug. Venizelos Groll galt natürlich SYRIZA.

Nicht anders Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, der nicht zögerte, als eine Verfassungsänderung im Athener Parlament diskutiert wurde. Auch Artikel 16 müsse geändert werden, forderte er, damit es endlich Privatuniversitäten in Griechenland geben könne. Der Artikel 16 ist Wirtschaftsliberalen wie Mitsotakis und der Nea Dimokratia, deren Parteichef er ist, schon lange ein Dorn im Auge. Ein Überbleibsel der Militärdiktatur, 1975 in die neue demokratische Verfassung übernommen, garantiert er nicht nur das Recht auf freie, öffentliche Bildung für alle Bürger, sondern er legt auch fest, dass Hochschulen ausschließlich vom Staat betrieben werden dürfen.

Privatunis seien vor allem deshalb nötig, erklärt Panagiotis Glavinis, Juraprofessor an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki, »damit wir erstklassige Bildungsdienstleistungen haben und unsere öffentlichen Einrichtungen auf internationaler Ebene konkurrieren können«. Die Handvoll existierender englischer und US-amerikanischer Colleges im Land genießen keinen guten Ruf und ihre Abschlüsse werden nicht automatisch anerkannt. Befürworter der Privatisierung des Bildungssystems wie Glavinis glauben außerdem, dass ein um private Schulen erweitertes Angebot die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte eindämmen könnte.

Griechische Familien, so sie es sich leisten können, schicken seit jeher ihre Kinder zum Studium ins Ausland. Mitsotakis etwa war in Stanford, Venizelos ging auf die Sorbonne, und auch Yanis Varoufakis, der Ex-Finanzminister der Regierung Tsipras, berühmt für seine Konfrontationen mit Wolfgang Schäuble vor dem erzwungenen dritten »EU-Rettungspaket« 2013, studierte und promovierte auswärts in Essex. Rund 650 000 junge Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung gibt es derzeit in Griechenland. Über 50 000 davon studieren im Ausland, allein 15 000 in England. Über 500 000 vorwiegend junge, hochqualifizierte Griechen haben seit 2008 das Land verlassen, darunter 5000 griechische Ärzte gen Deutschland.

Dieser Trend könne durch die Zulassung privater Universitäten gestoppt und eine effiziente Qualitätskontrolle eingeführt werden, behaupten Privatisierungsbefürworter. Skevos Papaioannou, kretischer Soziologe und jetzt Gastprofessor in Kassel, zweifelt daran: »Vor fünf Jahren, über Nacht, sind die staatlichen Gelder für die Unis um 75 Prozent reduziert worden, das Jahr darauf um weitere 15 Prozent, dann noch einmal um 15 Prozent und im vierten Jahr wieder um 25 Prozent. Meine Uni in Kreta bekam vorher 17,5 Millionen Euro vom Staat, heute sind es nur noch 3,1 Millionen.« Das ging mit krassen Personalkürzungen einher, auslaufende Stellen werden gestrichen, die der Professur vorangehenden zweijährigen Lektorenstellen wurden abgeschafft. Von landesweit 900 vakanten Professorenstellen sollen jetzt nur noch 300 besetzt werden. »Das lässt eher die Absicht erkennen«, so Papaioannou, »die staatlichen Universitäten zu degradieren, um den privaten den Weg zu bahnen.«

Es geht dabei nicht nur um Geld, auch die Staatskirche mischt in der Bildungspolitik mit. Bildungsminister Nikos Filis musste im November den Hut nehmen, weil er den Religionsunterricht in Athen gegen den Willen des Bischofs modernisieren wollte. Vorher jedoch annullierte er ein PASOK-Gesetz von 2011, das die Regelstudienzeit verkürzt und das Polizeiverbot auf dem Campus aufgehoben hatte. Zuletzt versuchte 2014 ein anderer Minister den Artikel 16 aufzuheben, ohne Erfolg, zu seinem Glück aber auch ohne landesweite Studentendemonstrationen, gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei, Streiks und Campusbesetzungen wie 2007.

Hochschulreformen sind in Griechenland heikel, schon viele Bildungsminister sind darüber gestolpert. Der 17. November ist nicht nur der Internationale Studententag im Andenken an die 1939 blutig niedergeschlagenen Studierendenproteste in Prag, es ist auch der Tag, an dem daran erinnert wird, dass 1973 die griechische Militärjunta mit Panzern in die Athener Universität eindrang, ein Gewaltakt, der 23 Todesopfer forderte, das Ende der Militärdiktatur einläutete und heute als nationaler Feiertag begangen wird.

SYRIZA hat den Rückhalt der Universitäten, unter ihren Parlamentsabgeordneten sind viele Professorinnen und Professoren, die versuchen, das Land trotz der durch Vetternwirtschaft angehäuften Schulden und der EU-Auflagen wieder auf die Beine zu bringen. Für sie ist die Universität, wie es in einer Erklärung der Partei zum 17. November heißt, »ein Modell für die Freiheit des Individuums und die Demokratisierung der Gesellschaft«.

Das ändert freilich nichts daran, dass die parteipolitischen Gräben in Griechenland tief sind und auch die Kritik an der Regierung, dass sie bei der Durchsetzung von Hochschulreformen unwillig und planlos agiere, wird dadurch nicht gemildert. Ob aber Privatuniversitäten das Patentrezept sind, selbst wenn man ihnen gesetzlich Gemeinnützigkeit auferlegt, wie der Byzantistikprofessor Ioannis Zelepos von der Universität München vorschlägt, bleibt zweifelhaft.

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