Trump vertieft soziale Spaltungen

Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand über linke Globalisierungs- und Freihandelskritik

  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Brand, würden Sie von einer liberalen Tageszeitung interviewt, könnte die erste Frage lauten: »Haben Sie schon ein Glückwunschtelegramm an Trump versendet, schließlich hat er angekündigt, Freihandelsabkommen ein Ende zu setzen?« Sie sind ein prominenter linker Globalisierungskritiker. Auch Trump kritisiert Globalisierung und Freihandel. Was würden Sie auf so eine Frage antworten?

Die Absichten des wahrscheinlichen neuen US-Präsidenten stehen denen der emanzipatorischen Globalisierungskritik diametral entgegen. Er will eine Lebensweise verteidigen, den American Way of Life, insbesondere den der Weißen, der Männer und der Konzerne. Das führt bei ihm auch zur Kritik des Freihandels, aber ganz anders begründet. Wir hingegen haben immer deutlich gemacht, dass die Kritik der kapitalistischen Globalisierung auf eine Schwächung ökonomischer und politischer Macht zielt, auf gute Lebensbedingungen für alle Menschen, auf friedliche internationale Verhältnisse, auf einen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Trump will das Gegenteil. Er leugnet den Klimawandel, setzt auf fossile Energieträger - und wird damit die sozialen Spaltungen in den USA vertiefen.

War es ein Fehler, dass die Linke sich in den letzten Jahrzehnten auf die Kritik der neoliberalen Globalisierung konzentriert hat? Hätte sie stärker den Kapitalismus kritisieren müssen?

Es gab ja immer Dissens in der linken Globalisierungskritik. Ich erinnere mich, dass wir Ende der 1990er Jahre in der Bundeskoordination Internationalismus die damalige Attac-Bewegung kritisierten: Die Forderung der Regulierung der Finanzmärkte schien uns unzureichend, um der kapitalistischen Globalisierung Einhalt zu gebieten. Attac hat sein Themenspektrum ja auch längst ausgeweitet. Die Diskussionen der letzten 15 Jahre hat zu sinnvollen Unterscheidungen geführt. Da wäre eine eher keynesianisch ausgerichtete Globalisierungskritik, die eben den Neoliberalismus bekämpft und einen stärker staatlich regulierten Kapitalismus möchte. Das hat durchaus gute Gründe: Es war eine Kritik an der sich neoliberalisierenden Sozialdemokratie, am Mitmachen der Gewerkschaften beim Wettbewerbskorporatismus, das Anknüpfen an Erfahrungen des Nachkriegskapitalismus.

Welche Globalisierungskritik gibt es noch?

Radikalere, feministische, internationalistische, radikal-ökologische und damit kapitalismuskritische Strömungen warnten nicht nur vor einem Schönreden der Nachkriegszeit, die etwa eine sehr patriarchale und rassistische war und auf Naturzerstörung setzte. Und sie betonten, dass an den Grundstrukturen der sich globalisierenden kapitalistischen Produktionsweise anzusetzen sei. Die Differenzen sind längst anerkannt. Im wissenschaftlichen Beirat von Attac etwa stehen unterschiedliche Perspektiven in einem produktiven Dialog, ohne Differenzen schönzureden.

Moderne Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP werden bis ins linksliberale Lager hinein kritisiert. Die Kritik bezieht sich meist auf die Schiedsgerichtshöfe und die Aushöhlung sozialer und ökologischer Rechte. Sind Abkommen, die sich nur auf die Abschaffung von Zöllen beschränken, zu befürworten?

Zwischen den kapitalistischen Metropolen sind ja seit dem Zweiten Weltkrieg die Zölle deutlich zurückgegangen. Dafür benötigt man weder CETA, noch TTIP. Hinter der rechtlichen Absicherung des Freihandels steht das, was in der kritischen Wissenschaft als »neoliberaler Konstitutionalismus« bezeichnet wird. Den Konzernen wird von der Politik eine globale Verfassung für ihre Rechte geschrieben, die Politik entmächtigt sich selbst gegenüber den transnationalen Wirtschaftsakteuren. Zudem: Warum sollen Zölle per se schlecht sein?

Sie würden den KonsumentInnen schaden, hört man.

Ja, aber es wird oft vergessen, dass Zölle wichtige Staatseinnahmen bedeuten, gerade für viele Länder des globalen Südens. Und wenn wir eine soziale und ökologische Wirtschaft wollen, dann muss es eben Steuerungsmöglichkeiten geben.

Wurde durch Freihandel und Globalisierung die Armut verringert?

Das Land, wo in den letzten zwei Jahrzehnten die kapitalistische Dynamik am größten und die Armutsreduktion am stärksten war, nämlich China, setzte gerade nicht auf Freihandel. China ist aber in vielen Bereichen weiterhin das, was viele als protektionistisch bezeichnen würden. Der mit Abstand größte Produzent von Automobilen lässt bislang ausländische Firmen nur in Joint Ventures mit eigenen Staatsfirmen zu. Wir sehen aber auch weltweit: In der Krise der kapitalistischen Globalisierung nimmt in den meisten Ländern die Armut wieder zu. Besonders deutlich ist das seit zwei Jahren in Lateinamerika.

Wie könnte denn die Armut bekämpft werden?

Armutsbekämpfung muss von den Imperativen des Kapitalismus entkoppelt werden, sollte nicht nur in steigenden Einkommen gemessen werden, sondern in der Verbesserung von Lebensmöglichkeiten. Dazu gehören gute Bildungs- und Gesundheitssysteme. Notwendig ist in vielen Ländern eine gute subsistente Landwirtschaft, die in keiner Wachstumsstatistik aufscheint - sie ist ja nicht über Geld vermittelt - und gerade von der agrar-kapitalistischen »Modernisierung« unter Druck kommt.

Liberale befürchten ein neues Zeitalter des Protektionismus. Ist das nicht eine ahistorische Sichtweise? Alle (früh)industrialisierten Staaten schützten ihre Industriesektoren mit Zöllen, bis sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren. Und tun es zum Teil noch heute.

Vergessen wir nicht, dass die Krise nach 1929 zu einem sehr weitgehenden Protektionismus führte, von dem wir heute weit entfernt sind. So richtig verstehe ich die Aufregung auch nicht. Trump ist gar nicht in der Lage, die US-Ökonomie »abzuschotten«. Er wird ein paar hochsubventionierte Leuchtturmprojekte starten, um anzugeben: »Seht, die Industrie kommt zurück.« Wahrscheinlich gepaart mit Sozialabbau, damit die Löhne »wettbewerbsfähiger« werden. Er wird aber nicht in der Lage sein, wie angekündigt, »Apple in die USA zurückzuholen«.

Wie kann man verhindern, dass der Schutz vor dem Marktmechanismus nicht auf nationalistische oder rassistische Weise artikuliert wird, so wie man es bei Trump oder anderen neu rechten Parteien oder Bewegungen beobachtet?

Trump verspricht Schutz, aber er verbessert ihn nicht wirklich. Er nimmt reale Abstiegsängste auf, bedient rassistische Ressentiments, aber er greift gerade nicht die Interessen der Vermögenden an, schafft nicht die strukturellen Bedingungen für mehr Gerechtigkeit. Rechtsextreme Parteien wie die AfD, FPÖ oder Front National sind alle wirtschaftspolitisch neoliberal.

Und dennoch geben sie sich als Stimme der Abgehängten aus und gewinnen Wahlen. Wie kann das verhindert werden?

Da bin ich aktuell etwas ratlos. Klar, sie argumentativ entzaubern - aber dann wird »post-faktisch« geantwortet, dass das alles ohnehin keine Rolle spiele. Linkspopulismus ist aber nicht die Lösung, auch wenn linke Politik durchaus mehr an Emotion und vor allem an Empathie andocken könnte.

Was haben Sie gegen Linkspopulismus?

Auf der Ebene der Politisierung und Mobilisierung von Menschen können Zuspitzungen und Gegenüberstellungen wie »Wir gegen die«, kann ein linkspopulistischer Diskurs durchaus sinnvoll sein. Doch wenn es um Programmatiken und konkrete Politik geht, dann geht es eben auch um Kompromisse und Bündnisse. Nehmen wir das Beispiel Podemos in Spanien: Aus den erfolgreichen Mobilisierungen der Bewegung der Indignados (Empörten) wurde in der Partei Podemos ein ziemlich biederes keynesianisches Wirtschaftsprogramm, das viele der widersprüchlichen Erfahrungen der Bewegungen nicht berücksichtigt. Aus dem »Wir gegen die« hätten aber doch viel deutlicher Machtfragen, Verfügung über Eigentum, Umverteilung von Vermögen rauskommen müssen. Doch das trauen sie sich offenbar nicht.

Haben Staaten des globalen Südens nicht ein Recht, ihre Märkte vor den Waren aus dem globalen Norden zu schützen?

Absolut. Eine eigenständige Wirtschaftspolitik und hier etwa eine Industriepolitik sind wichtig; dafür braucht es den Schutz von Märkten, aber auch starke Regeln für Investoren. Doch wir müssen sofort die Gegenfrage stellen: Was soll genau geschützt werden? Geht es darum, eine eigenständige ökonomische und sozial-ökologische Entwicklung im Interesse der Bevölkerungsmehrheit voranzutreiben oder bedeutet »Schutz« vor allem den der einheimischen Eliten, die dann weniger gute Produkte monopolartig und zu höheren Preisen vertreiben können? Eines wird in der Freihandelsdebatte oft vergessen: Insbesondere die kaufkräftigen Schichten in den Ländern des globalen Südens haben auch Interesse am Freihandel, weil sie damit Zugriff auf den Weltmarkt bekommen - und sich um die einheimischen Produktionsstrukturen nicht kümmern müssen.

Müssten Globalisierung und Freihandel nicht auch aus ökologischer Perspektive kritisiert werden?

Mit Markus Wissen beende ich gerade ein Buchmanuskript zur »Imperialen Lebensweise«. Wir argumentieren, dass in den Zentren die kapitalistische Globalisierung zur Vertiefung einer Produktions- und Lebensweise führte, die systematisch auf die Ausbeutung von Natur und billiger Arbeitskraft in anderen Teilen der Welt setzt. Diese Lebensweise wird in den Schwellenländern von den Ober- und Mittelschichten übernommen. Warum müssen die Steine für Gräber in Deutschland in Indien produziert werden? Warum werden Grundnahrungsmittel, die in einer Region ökonomisch, sozial und ökologisch vernünftig produziert werden können, aus anderen Regionen importiert und die regionalen Märkte somit kaputt gemacht?

Also ein Plädoyer für eine Regionalisierung der Produktion?

Ein wesentlicher Bestandteil einer solidarischen Lebensweise ist das Subsidiaritätsprinzip: Produkte dort zu produzieren und die entsprechenden Rohstoffe zu verwenden, wo sie auch konsumiert werden: Zunächst lokal, geht das nicht, dann regional, sonst eben überregional, bei ganz wenigen Produkten international. Der Begriff der »De-Globalisierung«, den Walden Bello vor über zehn Jahren prägte, gefällt mir in diesem Zusammenhang immer noch recht gut. Dazu gehört aber auch, dass der weltweite Energie- und Ressourcenverbrauch drastisch sinken muss. Das ist der Kern einer ökologischen Perspektive und eine Herausforderung, die von der Linken noch kaum erkannt wurde. Zu schnell wird gesagt: »Wir können den Leuten doch nicht sagen, dass sie verzichten sollen.« Doch darum geht es nicht, sondern um eine gerechte, friedliche und ökologische Lebensweise weltweit.

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