Kolonnaden statt Schaukelschale

Geschichtsbewusste Denkmalsneuigkeiten und ein Glücks-Monument

  • Friedrich Dieckmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Deutschen tun sich schwer mit Versuchen, dem lichten Moment ihrer Nationalgeschichte ein Denkmal zu errichten. Sollten sie es lieber lassen? In Leipzig immerhin gelang es auf eine unprätentiöse, dabei sehr eindringliche Weise: Neben die Nikolaikirche, die im Herbst 1989 ein wichtiger Sammel- und Ausgangspunkt der Volksbewegung wurde, die binnen kurzem ein ganzes Land ergriff, wurde als Gedenkzeichen die Kopie einer der im 18. Jahrhundert farbig-festlich gestalteten Säulen gestellt, die im Innern das Kirchenschiff tragen. War das nicht Denkmal genug? Das aufwendige Vorhaben, auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz ein horizontales Monument in Gestalt eines künstlerisch gestalteten Versammlungsplatzes anzulegen, wurde in diesem Jahr nach langen Debatten und mit erheblichen Unkosten begraben.

In Berlin hatte man in kleinerem Maßstab etwas Ähnliches vor, eine begehbare Schale, die sich der Stuttgarter Designer Johannes Milla ausgedacht hatte, sollte auf dem 1895 in die Spree hineingebauten Sockel des nach 1945 abgetragenen Kaiser-Wilhelm-Denkmals Platz nehmen, in ästhetischer Opposition sowohl zur Schlossfassade wie zur Bauakademie auf dem anderen Spreeufer. Die Erinnerung an die Protestkundgebungen des Herbstes 1989 sollte in dieser technisch aufwendigen Waagschale physisch lebendig werden durch ihre elastische Nachgiebigkeit gegenüber Passanten, die sich auf ihr sammeln und das Gleichgewicht in die eine oder andere Richtung verschieben würden. Also ein Demokratiespielzeug von riesigen Ausmaßen; man sah schon Extremisten aller Couleur sich den Spaß machen, die Stabilität dieser symbolischen Staatskonstruktion zu testen.

Als die projektiven Kosten in die Höhe schossen, stoppte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags das Vorhaben im April dieses Jahres. Nun ist er mit sich übereingekommen, Gelder nicht nur für den vom Land Berlin seit langem geplanten und niemals in Angriff genommenen Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie zu bewilligen, sondern auch für die Wiederherstellung der Kolonnaden, die einst das Reiterdenkmal Wilhelms I. umgeben hatten. Dieses Bauwerk aus zwei Reihen hufeisenförmig umlaufender Doppelsäulen, als deren Vorbild man die Kolonnaden im Hof von Schloss Sanssouci erkennt, kann eben nicht für ein Denkmal der deutschen demokratischen Revolution gelten. Aber der beiden Siegeswagen entledigt, deren Sockel sie ursprünglich bildeten, zeugen sie doch von einer Staatsumwälzung, die die missglückten Insignien eines untergegangenen Reiches dem Metallhandel zuzuführen wusste und übrig nur ließ, was schön war: zwei Bronzelöwen für den Tierpark Friedrichsfelde. Was für diese Säulenhalle spricht, ist, dass sie, frei von den triumphalistischen Aufsätzen, eine architektonische Schönheit zu erkennen gibt, die die Schlossfassade nicht konterkariert, sondern gelassen ergänzt.

Der Haushaltsausschuss, der die Mittel für alles dies zu genehmigen hat, tagte zusammen mit dem kulturpolitischen Zweigespann, zu dem die Kulturstaatsministerin Grütters sich mit Neil MacGregor, dem Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, zusammengefunden hat. Dabei kam noch eine andere traditionsorientierte Neuigkeit heraus: Man will den Neptunbrunnen von Reinhold Begas, der in der Nähe der Marienkirche einen ausladenden Blickpunkt bildet, an seinen ursprünglichen Standort an der Südseite des Schlosses zurückversetzen, in Höhe der Einmündung der Breiten Straße. Für diesen Platz ist der von der Stadt Berlin einst gestiftete Brunnen geschaffen, und dort soll er wieder hin. Das ist ein schwerwiegender Eingriff in die städtebauliche Struktur, die seit 1969 den Fernsehturm mit dem - derzeit ausgelagerten - Marx-Engels-Forum verbindet. Es ist undenkbar, den jetzigen Brunnenstandort unbesetzt zu lassen. Aber was soll dorthin? Vielleicht die Schaukelschale? Sie wäre ungeeignet, selbst wenn sie sich als bezahlbar erwiese, denn ihre ausgeprägte Horizontalität könnte keinen Gegenakzent zum übermächtigen TV-Turm bilden, darauf aber kommt alles an. Also ein neuer Wettbewerb? Es bedarf dessen nicht. Rat fände sich, wenn man auf die organisatorisch missglückte erste Stufe des Wettbewerbs zu jenem Einheits- und Freiheitsdenkmal zurückblickte. Axel Schultes, Architekt vieler bedeutender Berliner Bauwerke, hatte damals gemeinsam mit Charlotte Frank eine 18 Meter hohe stilisierte Baumgestalt mit asymmetrisch ausladender Krone entworfen, »nicht zu kompliziert im Aufbau und im Unterhalt«, die er sich als »Monument des Glückes« dachte, zugleich als ein »Wahrzeichen hochgestimmter Modernität«. Das Glück einer friedlichfrei errungenen Staatseinheit ist in späteren Jahren nicht ungetrübt geblieben, aber in Frage gestellt wurde es niemals. Sich mit der Schultesschen Baumgestalt an städtebaulich prädestinierter Stelle dazu zu bekennen, würde der in vieler Hinsicht immer noch geteilten Stadt guttun.

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