Das Ende der Ente

Wird »Desinformation« demnächst zu einem Straftatbestand?

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.

Was waren das noch für Zeiten im Sommer 2014, als Margarete Klein den Griffel zur Hand nahm und in einem Arbeitspapier der »Stiftung Wissenschaft und Politik« den Einfluss Russlands auf Ostasien sowie die Potenziale russischer Außenpolitik analysierte. Das Fazit der Russlandexpertin war ernüchternd für den Kreml: Militärisch überholt, diplomatisch unglaubwürdig und vor allem ganz, ganz schwach in Sachen »Soft Power«: Gerade in jenen Formen kultureller Außenpolitik, die den Einfluss eines Landes in »weichen« Strategien von Kulturexport über Sympathiewerbung bis zu direkter Einflussnahme durch Kommunikation mit der Gesellschaft anderer Staaten gehe nichts für Moskau.

Verfolgt man dagegen heute die Medien, klingt Kleins Text geradezu nostalgisch. Der Kreml hat demnach womöglich den Brexit und ziemlich sicher die Präsidentenwahlen in den USA beeinflusst und schickt sich nun an, die Bundestagswahl 2017 zu kapern. Statt jener Karikatur vom lautstarken Gernegroß im Osten wird jetzt das gegenteilige Zerrbild gezeichnet: Russland erscheint als Supermacht der Einflussnahme, die mit Computerhacks, Trollfabriken und Desinformationskampagnen den westlichen Liberalismus zur Strecke bringt.

Tatsächlich häufen sich frei erfundene Nachrichten; oft geht es dabei um Flüchtlingspolitik. Sachsens AfD frage jüngst im Parlament nach, ob die Regierung eine Vergewaltigung in einem Maxim-Gorki-Park decke, den es im Freistaat überhaupt nicht gibt. Es tauchte ein Profil eines angeblichen Grünen-Politikers auf, dem Sätze in den Mund gelegt wurden, die das widerspiegeln, was sich Rechtsradikale über Grüne denken. Und jüngst klagt Renate Künast über ein ihr angehängtes, frei erfundenes Zitat im Zusammenhang mit dem mutmaßlich von einem Geflüchteten verübten Sexualmord in Freiburg.

Die Quelle dieser Falschmeldung war ein klassisch rechtsradikal aufgemachtes Profil. Bisher hat niemand Russland direkt mit dieser falschen Nachricht in Verbindung gebracht. Künast ließ aber eine solche Deutung offen, als sie die Falschnachricht in Zusammenhang mit dem amerikanischen Wahlkampf brachte, von dem selbst Zeitungen wie die »Washington Post« schreiben, er sei von russischen Einflussagenten mitentschieden worden.

FDP-Chef Christian Lindner etwa sagt: »Es ist schon jetzt absehbar, dass von Russland gesteuerte Onlinemedien Fehldeutungen und Falschinformationen verbreiten. Das ist die Spitze des Eisbergs. Damit soll unser Land destabilisiert und die AfD gestärkt werden.« Und der CSU-Innenpolitiker fordert eine Verfolgung von »Desinformation«. Damit müsse man sich »dringend auseinandersetzen und einen entsprechenden Straftatbestand schaffen.«

Was aber ist »Desinformation«? Wird jemand, wie nun Künast, mutwillig eine Falschaussage angehängt, kann der Betroffene schon jetzt klagen, etwa wegen Verleumdung. Bezieht sich eine Falschaussage in einer hetzerischen und herabwürdigenden Weise auf eine Menschengruppe, kommt Volksverhetzung in Frage. Was aber macht man mit einem Innenminister, der mit falschen Statistiken politisch Stimmung macht?

Im Sommer verkündete Thomas de Maizière (CDU), 70 Prozent der männlichen unter 40-jährigen Flüchtlinge verhinderten mit falschen Attesten ihre Abschiebung. Als sich das als falsch erwies, legte er nach: Daten aus Nordrhein-Westfalen ergäben, »dass 70 Prozent der Ausreisepflichtigen psychische Erkrankungen als Vollzugshindernis geltend gemacht haben« - nur ging es dabei um die Fälle, in denen tatsächlich eine gesundheitliche Beeinträchtigung geltend gemacht wurde, nicht um die Gesamtheit der Ausreisepflichtigen. Wäre so etwas bald eine Straftat?

Müssten Ermittlungen eingeleitet werden, wenn jemand wie einst Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) vor dem Krieg gegen Jugoslawien behauptete, von serbischen Kämpfern würden »schwangeren Frauen (...) nach ihrer Ermordung die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten gegrillt«? Gegen einen Joschka Fischer, der mehrfach einen »Hufeisenplan« der Serben zur »Säuberung« des Kosovo anführte, den es nie gab? Wären diejenigen Medien, darunter der gesamte deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk, in Zukunft für »Desinformation« verantwortlich zu machen, die 1990 die Story verbreiteten, irakische Soldaten rissen im besetzten Kuwait Säuglinge aus Brutkästen und ließen sie auf dem Boden krepieren, was sich als Erfindung einer amerikanischen PR-Agentur im Auftrag der kuwaitischen Exilregierung entpuppte?

Oder harmloser: Kann man gegen eine Tagesthemenmoderatorin klagen, die aufgrund irgendwelcher Durchschnittsdaten einen Beitrag mit dem Satz »Deutschland geht es gut« anmoderiert, während sich - das ist keine Meinung, sondern eine Tatsache - die soziale Spaltung vertieft?

Niemand bestreitet, dass Russland eine Offensive in »Soft Power« gestartet hat, am wenigsten die russische Politik. Als im Sommer 2016 eine britische PR-Agentur ihre Rangliste der Soft-Power-Mächte veröffentlichte und Russland erstmals unter den ersten 30 lag, klagte Konstantin Kossatschjow, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrates, das sei eine Untertreibung.

Es ist auch kein Geheimnis, dass der Kern dieser Politik darin besteht, über neue Medienstrategien direkt mit der Bevölkerung westlicher Staaten zu kommunizieren. Prominent geworden ist der Fall jenes russlanddeutschen Mädchens in Berlin, das sich wohl eine Gruselgeschichte um eine Vergewaltigung durch »Araber« ausgedacht hatte, um ein längeres Verschwinden zu Hause zu erklären. Russische Medien berichteten reißerisch - in etwa so reißerisch wie jener ZDF-Film über den »Machtmensch Putin«, der vor Jahresfrist ausgestrahlt wurde. Darin tritt ein von einem zwielichtigen Producer gekaufter junger Mann aus Kaliningrad als Kronzeuge für eine direkte Intervention der russischen Armee in der Ukraine auf. Eine massive Desinformation, belegt durch eine Recherche des Fachmagazins »Journalist«.

Im Fall des russischen Mädchens überschlug sich die deutsche Politik mit Diagnosen einer hybriden Kriegsführung. Ein Bürger stellte Strafanzeige gegen russische Journalisten - wegen Volksverhetzung. Im Fall des falschen ZDF-Zeugen erklärt der Sender bis heute: Man habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Und tatsächlich: Die Aussagen des falschen Zeugen wurden richtig berichtet.

Das Bundesjustizministerium sieht derzeit keine Notwendigkeit für einen Straftatbestand »Desinformation«, hieß es am Montagnachmittag. Vielleicht ist das eine gute Nachricht, vielleicht nicht: Wenn nämlich die Russenpropaganda nicht verboten wird, sondern Wahlkampfthema.

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