Der aufhaltsame Aufstieg der Le Pen

Peter Wahl sieht eine Reihe von Faktoren, die eine Präsidentschaft der Rechtspopulistin verhindern können

  • Peter Wahl
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind doch bestimmt für die Finanztransaktionssteuer, liebe Leserinnen und Leser. Und gegen die transatlantischen Handelsabkommen TTIP und CETA haben Sie vielleicht sogar demonstriert. Dass Wasser in kommunalen Händen am besten aufgehoben und die Austeritätspolitik gegen Griechenland inakzeptabel ist, diese Ansichten teilen Sie sicher ebenfalls. Auch für ein Verbot komplexer Finanzderivate, stärkere Steuerprogression und gegen die Privatisierung der öffentlichen Dienste sind Sie, und vermutlich halten Sie auch Entspannung mit Russland und ein Ende der Sanktionen gegenüber der Föderation für richtig.

Tja, da haben Sie eine Menge gemeinsam mit der Front National (FN). Also jener Partei, die bei den französischen Regionalwahlen 2015 mit 27 Prozent in der ersten Runde stärkste Kraft wurde und von der Umfragen annehmen, dass sie problemlos in die Stichwahl um die Präsidentschaft in Frankreich am 7. Mai kommen wird.

Okay, okay, da ist natürlich die andere Seite: die Obergrenze für Migranten, die noch rigider ausfällt als bei der CSU, das Verbot des Familiennachzugs, die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft und andere Schikanen gegen Zuwanderer, die Islamophobie, die »Law & Order«-Haltung, das allfällige »Frankreich zuerst« und ähnlich rechtes Gedankengut.

Klar ist aber, dass die Linke im Nachbarland mit der programmatischen Doppelbödigkeit der FN ein enormes Problem hat. Die Analysen der Wählerwanderung zeigen auch prompt, dass die Partei besonders starken Zustrom aus den ehemaligen Hochburgen der einst starken Kommunistischen Partei erhält. So aus den verfallenden Industriegebieten im Norden und Nordosten sowie aus Südfrankreich, wo die Einwanderung besonders stark und sichtbar ist. Die Wählersoziologie bildet also ziemlich genau die programmatische Mixtur der FN ab.

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozialen Krise und der neoliberalen »Reformen« des Sozialdemokraten François Hollande überrascht es nicht, dass die Arbeitslosigkeit Hauptmotiv war, FN zu wählen - noch vor der Lage der inneren Sicherheit und Zuwanderung. Es folgten die Terroranschläge in Paris und Nizza. So ist bei vielen Franzosen in den letzten Jahren eine explosive Mischung aus Frust, Angst und Wut entstanden.

Außerdem war Marine Le Pen mit ihrer Strategie der »Entdiabolisierung«, deren Höhepunkt der Parteiausschluss ihres offen rechtsextremen Vaters Jean-Marie war, recht erfolgreich. Ihre Partei wird für immer mehr Franzosen wählbar.

Natürlich ist es zu früh, eine seriöse Prognose abzugeben oder gar einen Sieg Le Pens vorauszusagen. Aber es ist auch riskant, sich auf das gängige Kalkül zu verlassen, im zweiten Wahlgang werde Le Pen schon scheitern. Denn zum einen ist noch nicht klar, wer für die Sozialistische Partei ins Rennen geht. Wenn Ex-Ministerpräsident Manuel Valls antreten sollte, wird es in der rechten Mitte eng, weil dort schon mit Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron ein New-Labour-Sozialdemokrat vertreten ist. Es ist ein Merkmal des französischen Wahlsystems, dass in der ersten Runde der Zufallsfaktor umso stärker ist, je mehr politisch ähnliche Kandidaten antreten. Da der Konservative François Fillon zugleich knallharter Neoliberaler ist, entsteht hier eine Rivalität zwischen drei ziemlich schwergewichtigen Kandidaten.

Zum anderen verfolgt auch Fillon eine zweigleisige Linie. Zweites Standbein ist sein rechtskonservatives Profil. Er hofft damit, Le Pen Stimmen abzujagen. Wenn es in der zweiten Runde zu einer Konstellation Fillon vs. Le Pen kommen sollte, dürften daher viele Wähler links der Mitte zu Hause bleiben oder sogar Le Pen wählen. Ein Trump-Moment ist dann nicht auszuschließen. Wichtiger als wahlarithmetische Spekulation ist jedoch, dass bis Mai noch viel passieren kann, etwa ein Terroranschlag, der Le Pen ans Ruder bringen könnte.

Einziger Hoffnungsschimmer in dieser verfahrenen Situation ist, dass infolge des Gedrängels unter neoliberalen Kandidaten in der ersten Runde der Vertreter der Linken, Jean-Luc Mélenchon, auf Platz zwei kommen könnte. Das wäre dann eine Situation wie bei den österreichischen Präsidentschaftswahlen. Spekulation auch das; aber schon jetzt wird Mélenchon mit bis zu 14 Prozent gehandelt. Wenn er noch drei, vier Prozent zulegen könnte, wäre die Sensation perfekt.

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