Das Ende der Unschuldsvermutung

Geplante Gesetzesverschärfungen der Bundesregierung stehen in der Kritik

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Grünen suchen nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin nach einem Konzept zur Bekämpfung von Terroristen im Inland. Bei ihrer Neujahrsklausur in Weimar forderte die Bundestagsfraktion am Mittwoch, Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen, die »in Wort und Tat ihren Willen zum Ausdruck bringen, Anschläge zu begehen«. Dies sei der bessere und wirkungsvollere Weg, anstatt auf Massenüberwachung zu setzen. Dafür müssten wohl zusätzliche Polizisten eingestellt werden. Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) soll es bundesweit etwa 190 dschihadistische Gefährder auf freiem Fuß geben.

Mit ihren Vorhaben wollen die Grünen einige der geplanten Gesetzesverschärfungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizressortchef Heiko Maas (SPD) ergänzen. Die beiden Minister haben sich darauf geeinigt, die Abschiebehaft zu erleichtern. Als neuer Haftgrund soll die »Terrorgefahr« oder die »erhebliche Gefahr für die Sicherheit« Deutschlands eingeführt werden. Die Abschiebehaft könnte dann auch länger als drei Monate dauern, wenn die Herkunftsländer der Menschen die notwendigen Papiere für die Ausreise nicht ausstellen. Daran war auch die Abschiebung des Attentäters von Berlin, Anis Amri, nach Tunesien gescheitert. Bisher durfte ein Ausländer nur dann in Abschiebehaft genommen werden, wenn zu erwarten war, dass er innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden kann. Der Ausreisegewahrsam soll künftig von vier auf zehn Tage verlängert werden.

Zudem ist geplant, im Gesetz über das Bundeskriminalamt eine elektronische Fußfessel auch für nicht verurteilte Gefährder zu ermöglichen. Die Fußfessel ist seit vorigem Jahr nach der Haft bei »extremistischen« Straftätern zugelassen, die etwa wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der Unterstützung terroristischer Vereinigungen verurteilt wurden.

Wenn die Herkunftsländer ihre Bürger nicht zurücknehmen wollen, sollen diese unter Druck gesetzt werden können. De Maizière will etwa damit drohen, die Entwicklungshilfe zu kürzen. Doch bei diesem Punkt droht Streit in der Großen Koalition. Denn der für Entwicklung zuständige Minister Gerd Müller (CSU) hatte mögliche Kürzungen abgelehnt.

Asylbewerber, welche »die Behörden über ihre Identität täuschen«, sind für Schwarz-Rot generell verdächtig. Sie sollen verschärfte Wohnsitzauflagen bekommen. Verstöße dagegen wären strafbar. Der Maßnahmenkatalog enthält auch die Forderung, mit vorbeugenden Maßnahmen gegen islamistische Radikalisierung vorzugehen.

Die Grünen dürften bei einigen Punkten gesprächsbereit sein. In der Partei hieß es, dass alle Vorschläge unterstützt werden könnten, die sowohl verhältnismäßig und rechtsstaatlich seien, als auch zu mehr Sicherheit vor Terror führen würden. Man könne etwa gefährlichen Personen den Zugang zur Telekommunikation einschränken oder ihnen den Wohnort vorschreiben. Gefährder generell in Haft zu nehmen, lehnen die Grünen dagegen ab.

Die LINKE-Innenpolitikerin Ulla Jelpke warf den Ministern vor, sich »mit dem verschärften Vorgehen gegen sogenannte Gefährder« weit über das Grundgesetz hinauszulehnen. Denn als Gefährder wird eine Person dann eingestuft, wenn die Sicherheitsbehörden davon ausgehen, dass sie möglicherweise eine Straftat begehen könnte. Der Person kann dann aber noch nichts nachgewiesen werden. »Inhaftierungen oder schwere Eingriffe wie elektronische Fußfesseln aufgrund bloßer Mutmaßungen sind mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren«, kritisierte Jelpke. Vielmehr drohe eine »Gesinnungsjustiz«.

Ähnlich äußerte sich der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin. Der FDP-Politiker warnte vor voreiligen Konsequenzen und äußerte verfassungsrechtliche Bedenken. »Wir müssen immer davon ausgehen, dass es hier um Menschen geht, die zunächst einmal keine Straftat begangen haben«, sagte Mertin, der kürzlich den Vorsitz der Justizministerkonferenz übernommen hat. Er wies auch darauf hin, dass manche Maßnahmen nicht immer helfen. Einer der Attentäter, die in Frankreich 2016 einen Priester ermordet hatten, trug eine Fußfessel.

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