Tote Hose 
in der Hochburg

Selbst in der Sächsischen Schweiz ist die 
NPD nur noch ein Schatten ihrer selbst

  • Hendrik Lasch, Pirna
  • Lesedauer: 4 Min.

Im August 2004 schaute die Republik mit Schrecken auf die Sächsische Schweiz. Diese war bis dahin als Touristenregion mit bizarren Felsen und malerischen Wanderwegen bekannt; nun aber entpuppte sie sich als braunes Kernland. Bei der Landtagswahl in Sachsen kam die NPD auf 9,2 Prozent. Einen Gutteil der Stimmen sammelte sie in der Region südlich Dresdens. Das Grenzdorf Reinhardtsdorf-Schöna wurde von Journalisten fast überrannt. Dort gaben 23,1 Prozent der Wähler ihre Stimme der NPD, die auf dem Weg zur Volkspartei schien.

Lang ist es her. Wenn man Markus Kemper vom Mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen dieser Tage nach Aktivitäten der NPD in der Sächsischen Schweiz fragt, muss er länger überlegen. Im Juni entrollte ein halbes Dutzend Nachwuchs-NPDler beim Stadtfest in Pirna ein Transparent, das Migration als »Völkermord« bezeichnete. In Glashütte im Erzgebirge gab es vor sechs Monaten eine Demonstration gegen Zuwanderung. Ansonsten? Herrscht Funkstille.

Radikalensammler am rechten Rand. Eine Chronik

1964: Altnazis und junge Rechtsradikale gegründeten in der Bundesrepublik die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Sie übernimmt die Struktur ihrer Vorgängerorganisation Deutsche Reichspartei. Die NPD hat rund 30 000 Mitglieder.

1966: Die NPD zieht in die Landtage von Bayern und Hessen ein. Bis 1968 gelingt das auch in Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Unter Adolf von Thadden schrammt die NPD mit 4,3 Prozent am Einzug in den Bundestag vorbei.

1971: Unter Martin Mußgnug verliert die NPD Anhänger und Wähler. Bei den Bundestagswahlen zwischen 1972 und 1990 kommen die Rechtsextremen nie über 0,6 Prozent.

1974: Die drei Westalliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) verbieten der NPD die Teilnahme an den Wahlen zum (West-)Berliner Abgeordnetenhaus.

1980: Bei der Bundestagswahl erhält die NPD 0,2 Prozent.

1987: Der Millionär Gerhard Frey tritt mit seiner Deutschen Volksunion (DVU) bei Wahlen an. Beide Rechtsaußenlager nähern sich an.

1991: Der Holocaust-Leugner Günter Deckert übernimmt die Partei. Unter seiner Führung radikalisiert sich die NPD weiter. 1992 wird Deckert wegen Volksverhetzung verurteilt und muss 1995 in Haft.

1996: Deckert verleiert den Vorsitz an Udo Voigt. Der wirbt gezielt Mitglieder aus verbotenen rechten Vereinigungen an. Die NPD gewinnt in den neuen Bundesländern an Bedeutung.
1999: Die NPD erreicht bei den Wahlen in Sachsen 1,4 Prozent. Der Freistaat wird zu einer Hochburg.

2001: Die rot-grüne Schröder-Regierung will die Verfassungsmäßigkeit der NPD prüfen lassen. Ziel ist ein Verbot der Partei. Schon in der frühen Phase des Verfahrens werden Zweifel an den Erfolgsaussichten laut.

2003: Das Bundesverfassungsgericht kippt das Verbotsverfahren. Es wurde offenbar, dass V-Leute des Verfassungsschutzes in die Spitze der NPD geschleust worden waren.

2004: Bei den Wahlen in Sachsen holen die Rechtsextremen 9,2 Prozent – und liegen knapp hinter der SPD.

2005: NPD und DVU schmieden einen »Deutschlandpakt«. Ende 2010 erfolgt eine später angefochtene Fusion.

2006: Mit 7,3 Prozent kommt die NPD in den Schweriner Landtag. Zuvor waren Teile der Neonazi-Szene, die auf kommunaler Ebene heftig gegen Asylbewerber gehetzt hatten, in die Partei eingetreten. Fraktionschef wird Udo Pastörs. Er und die weiteren NPD-Abgeordneten fallen häufig mit provokativen Äußerungen auf.

2009: Millionenstrafe für die NPD. Die Bundestagsverwaltung schickt der NPD einen Strafbescheid über 2,5 Millionen Euro. Grund sind gravierende Fehler im NPD-Rechenschaftsbericht 2007. Parteichef Voigt spricht von einer »Existenzkrise«.

2009: Die NPD schafft den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag, allerdings nur mit 5,6 Prozent.

2011: Auf dem Parteitag in Neuruppin übernimmt Holger Apfel die Spitze der NPD. Er will ein seriöseres Image erreichen, um Wähler aus dem bürgerlich-konservativen Lager anzusprechen. Bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern kommt die NPD auf sechs Prozent. In Sachsen-Anhalt scheitert sie mit 4,6 Prozent. Die Terrorzelle NSU fliegt auf.

2012: Die Innenminister der 16 Bundesländer empfehlen ein neues Verfahren zum Verbot der NPD. Zuvor waren mögliche Verbindungen von NPD-Leuten zur Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bekannt geworden. Die Bundesregierung steht einem Verbot skeptisch gegenüber.

2013: Parteichef Holger Apfel tritt wegen Vorwürfen, einen jungen »Kameraden« sexuell belästigt zu haben, von allen Ämtern zurück und verlässt die NPD. Nachfolger wird Pastörs.

2014: Bei der Europawahl erringt die NPD dank des Wegfalls der Drei-Prozent-Klausel ein Mandat. Ex-Parteichef Udo Voigt zieht ins Straßburger Parlament ein. Im August folgt jedoch ein Rückschlag. Mit 4,9 Prozent verpasst die NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen eine dritte Legislaturperiode. Frank Franz wird neuer Parteivorsitzender.

2015: Die Partei beteiligt sich, vor allem in Sachsen, an den zunehmend aggressiven Protesten gegen Flüchtlinge. Nach einer von der NPD initiierten Demonstration in Heidenau kommt es zu schweren Krawallen.

2016: Die NPD muss sich der Verhandlung im Verbotsverfahren stellen. Am Bundesverfassungsgericht stehen sich Rechtsextremisten und Bundesrat gegenüber. hei

Auf dem Papier ist die Partei noch am Leben. Sie wolle sich »als APO neu erfinden«, sagt Thomas Sattelberg, Ex-Rädelsführer der Kameradschaft »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) und heute Kreischef der Partei. APO, außerparlamentarische Opposition, ist die NPD erzwungenermaßen, seit sie 2014 knapp am dritten Einzug in den Landtag scheiterte. Funktionäre wie Sattelberg oder Landeschef Jens Baur geben sich unbeirrt. Sie nehmen Kurs auf Wiederbelebung per Bürgernähe: Die NPD solle »Dienstleister für praktische Lebensführung« sein, hieß es kürzlich auf einem Landesparteitag - eine Art Kümmererpartei. Auch wolle sie den Bürgerinitiativen gegen die Asylpolitik helfend unter die Arme greifen.

Vollmundige Worte, denen freilich kaum sichtbares praktisches Engagement folgt. Zwar blieb der Kreisverband von einer Austrittswelle verschont, die anderswo in Sachsen auch Mandatsträger in Scharen von der Fahne gehen ließ. Sachsens Verfassungsschutz zählt Sattelbergs Trupp zu lediglich einer Handvoll Kreisverbände, die überhaupt noch Leben zeigen. Das ist allerdings relativ. Die Abgeordneten etwa entfalten kaum noch Engagement; im Kreistag wurde der letzte Antrag vor Monaten gestellt. Szenetreffs wie das »Haus Montag« in Pirna liegen im Dornröschenschlaf. Einst wurde befürchtet, die von Sattelberg nach Ideen italienischer Neofaschisten etablierte Lokalität könne Sammelpunkt und Rekrutierungsbasis der regionalen Szene werden. Tatsächlich hält sich die Zahl der Veranstaltungen in engen Grenzen.

Hält die NPD den Ball aber vielleicht nur flach, um während des Verbotsverfahrens keinen Anstoß zu erregen? Kemper glaubt das nicht. Der Verlust der Landtagsfraktion habe die NPD in eine »existenzielle Krise« gestürzt; es fehlt an Geld, und die Nachwuchsgewinnung stockt. Auch wenn das Verhältnis nie harmonisch war, suchten Schlägernazis etwa vom SSS doch einst die Nähe zur Partei, weil sie ab 2004 neben Geld und Jobs auch politischen Schutz durch Mandatsträger bieten konnte. All das aber ist seit knapp drei Jahren Geschichte.

Zugleich erwuchs der NPD schlagkräftige Konkurrenz. Zwar spielt die Identitäre Bewegung, die junge, aktionsorientierte Rechte anspricht, eher um Bautzen und im Erzgebirge eine Rolle als in der Sächsischen Schweiz. Die AfD allerdings mischt dort den Kreistag auf und organisiert auch Demonstrationen im Monatstakt - zur Zuwanderungspolitik, aber auch mit Slogans wie »Arme Kinder, arme Rentner, armes Deutschland«. Die Rechtspopulisten, sagt Kempers Kollegin Petra Schickert, greifen Themen auf, die einst die NPD besetzt hatte - »aber ohne die harte Keule des NS-Bezugs«. Landesschef Baur verweist gekränkt auf die Kärrnerarbeit der Kameraden: Man habe »Pegida und der AfD den Weg gebahnt«. Die Ernte aber fahren nun andere ein.

Auch wenn freilich die NPD in ihrer einstigen Hochburg nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass alte rechte Netzwerke intakt sind. Obwohl etwa der Betreiber eines Naziversands in Pirna oder der Organisator der Randale vor dem Flüchtlingsheim in Heidenau ihre Ratsmandate für die NPD längst abgegeben haben, so bleiben sie doch weiterhin bestens vernetzt. Von einer »subkulturellen Geschäftswelt« rund um Tattoostudios, Sportvereine und Versandläden spricht Kemper: »Dieses Netzwerk ist jederzeit zu aktivieren.«

Ob es auch für die NPD je wieder zu nutzen ist, wird abzuwarten sein - und hängt nicht zuletzt vom Ausgang des Verfahrens in Karlsruhe ab. Die Landespartei jedenfalls gibt sich siegessicher. Sie lädt für Sonntag, nur vier Tage nach dem BGH-Urteil, in die »Stadthalle Stern« in Riesa zum »Jahresauftakt«. Man wolle zeigen, dass die NPD »ein lebendiger Faktor in der Politik geblieben« sei, heißt es. Auch wenn »lebendig« in diesem Fall eher heißt: Man ist noch nicht ganz tot.

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