Demokratische Parteien müssen Ängste ansprechen

Der Politikwissenschaftler Hans-Joachim Funke fordert, mit mehr sozialer Gerechtigkeit und Gesprächsangeboten gegen Rechtsaußen vorzugehen

  • Lesedauer: 4 Min.

Als sich die Länder nach dem Auffliegen des NSU entschlossen, die NPD verbieten zu lassen, da erschien uns diese Partei als gefährlichste politische Kraft im rechtsextremistischen Bereich. Wie sehr hat sich Deutschland in den knapp drei Jahren verändert?
Trotz aller Veränderungen, trotz AfD und Pegida in allen Schattierungen: Die NPD ist weiter ein zentrales intaktes Netzwerk rechts außen. Und die Anfeindungen gegen Flüchtlinge sowie andere Minderheiten, mit denen sich jetzt aktuelle Kräfte hervortun, sind von der NPD initiiert und angestachelt worden. Ich erinnere nur an Schneeberg.

Nun kann man alles Mögliche verbieten - übers Verfassungsgericht Parteien, wenn es sinnvoll ist, man kann übers Strafrecht gegen rassistische Kriminalität vorgehen, man kann das Vereinsrecht nutzen, um Hassstrukturen aufzubrechen. Das Denken kann man so nicht zu Anstand bekehren. Was ist da in unserer Mitte geschehen?
Es gibt eine Mobilisierung von Ressentiments, die es schon seit Jahrzehnten gegeben hat bei 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung. Es sind Ressentiments gegen Migranten, Flüchtlinge, gegen Muslime, gegen Menschen, die anders leben wollen. Die werden zum Feind erklärt. Im Westen werden es so zehn, im Osten zwanzig Prozent sein, die der AfD ihre Stimme geben wollen. Zu beachten ist: Es macht schon einen Unterschied, ob derartige Ressentiments in trauter Rotweinrunde oder beim Bier am Stammtisch aufbrechen - oder ob man aufgeladen zu Aufmärschen geht. Man muss verstehen: Es gibt Ängste, das Gefühl zu kurz gekommen zu sein, Neid. Und es gibt die Enttäuschung ob der herrschenden Politik. Dann folgt die Mobilisierung auf der Straße und schließlich die Gewalt. Diese vier Stufen sind unterschiedlich breit angelegt.

Zur Person

Professor Hans-Joachim Funke wurde 1944 in Niederschlesien geboren. Der Politikwissenschaftler lehrte von 1993 bis 2010 am Institut für Politische Wissenschaften der FU in Berlin. Er forscht weiter auf den Gebieten Rechtsextremismus und Antisemitismus. Mit ihm sprach René Heilig.

Man kann die Verführten dem »Pack« zuordnen. Nur helfen markige Worte alleine nichts. Wie bringt man die Menschen zur Besinnung und Umkehr?
Richtig. Verbot hin oder her - wir brauchen eine andere demokratische Praxis, initiiert durch die Zivilgesellschaft, durch Bürgermeister, durch Parteien, Parlamente, Sicherheitsbehörden. Denn wenn man nur sagt, lass sie, das ist ja nicht verboten, dann fühlen sich gerade die verführenden Organisationen mächtig. Dann ist kein Halten bei den erwähnten Teilen der Bevölkerung. Das haben wir bei der Mobilisierung des rechtsradikalen und rechtsextremen Gewaltexzesses Anfang der 90er Jahre erlebt. Durch Studien ist festgestellt worden, wie sich das verselbstständigt. Auch jetzt ist diese Gefahr real. Das ist die politische und gewissermaßen soziale Seite. Die persönliche Seite ist noch wichtiger. Natürlich ist nicht jeder, der zu Pegida geht oder zur AfD neigt, automatisch rechtsextrem oder rassistisch. Man darf die Mitläufer mit ihren Stimmungen und paradoxen Gefühlen nicht alleine lassen, sonst werden sie womöglich rechtsextrem und rassistisch.

Was muss man also konkret tun?
Man muss mit ihnen reden, in der Kneipe, im Betrieb, in der Kita, an der Schule. Das ist Bürgersache. Die Zuständigen der demokratischen Parteien müssen das gleichfalls tun. Sie müssen Ängste und ihre Ursachen wahrnehmen, sie ansprechen. Man muss reden, streiten, auch wenn da viele aggressiv daherkommen. Politik muss fair sein, fair gegenüber jedermann. Gegenüber denen, die - warum auch immer - Ängste haben und sich von ihnen beherrschen lassen, gegenüber Flüchtlingen, die in ihrer Mehrheit ein Recht haben, bei uns Schutz zu suchen. Ehrlich und fair gegenüber der Bevölkerung.

Eine schwere Aufgabe, gerade für Parteien, die im Wahlkampfmodus sind. Können die so viel Fairness gegenüber jedermann aufbringen?
Wenn sie vernünftig sind. Das werden wir sehen, ob sie sich zur Vernunft anhalten lassen. Das heißt, dass sie sich auch um die Ursachen von Angst, Neid und Hass kümmern. Das sind tiefe soziale Fragen. Es muss mehr soziale Gerechtigkeit geben, weniger demütigende Hartz-IV-Sanktionen. Dafür sollten Linke, Sozialdemokraten, CDUler, Gewerkschafter, Leute von sozialen Bewegungen wie Attac und andere streiten.

Viele gucken ängstlich zu Nachbarn, sehen gleichfalls Hass, Rassismus, Nationalismen. Was wäre von Deutschland zu erwarten in dieser EU-gemeinschaftlichen Lage?
Da könnte sich Deutschland mal wirklich als europäische Lokomotive, als eine soziale, also als eine der Vernunft hervortun.

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