»Er hat gesagt, den Rest macht er«

Sachsen-Anhalt: Prozess um die Stendaler Briefwahlaffäre bringt neue Details ans Licht

  • Simon Ribnitzky, Stendal
  • Lesedauer: 3 Min.

Neue Details im Prozess um die Stendaler Briefwahlaffäre: Der angeklagte Ex-Stadtrat hat angegeben, nicht allein für die Manipulationen verantwortlich zu sein. Die Wahlunterlagen seien teilweise bereits ausgefüllt gewesen, als er sie vervollständigt habe, hieß es in einer von seinem Anwalt vorgetragenen Erklärung am Mittwoch. Zudem berichtete ein Wähler, der dem ehemaligen CDU-Politiker seine Wahlbenachrichtigungskarte überließ, von vergleichbaren Vorgängen bei einer früheren Wahl. Gegen den Ex-Stadtrat wurden unterdessen weitere Betrugsvorwürfe bekannt.

Mehrere Bevollmächtigte hatten für den 43-Jährigen bei der Kommunalwahl 2014 Briefwahlunterlagen abgeholt. Der Angeklagte soll die Vollmachten gefälscht und die Wahlunterlagen später selbst ausgefüllt haben. In 20 Fällen soll er die Vollmacht zwar tatsächlich erhalten haben, die Wahlscheine aber nicht weitergegeben, sondern ebenfalls selbst ausgefüllt haben. Es geht um die Fälschung von rund 1000 Stimmen. Die Affäre führte 2016 bereits zum Rücktritt des damaligen Landtagspräsidenten Hardy Peter Güssau. Der langjährige CDU-Stadtchef in Stendal hatte nicht ausräumen können, von den Manipulationen gewusst zu haben.

In der Erklärung des Angeklagten vom Mittwoch hieß es, er habe die Briefwahlunterlagen nach Feierabend in der Kreisgeschäftsstelle der CDU vervollständigt und die Unterschriften gefälscht. Zuvor hatten mehrere Bevollmächtigte für ihn die Wahlunterlagen bei der Stadt abgeholt. »Teilweise waren die Stimmzettel bereits ausgefüllt«, heißt es in der Erklärung. Wer dafür verantwortlich sein könnte, wurde nicht ausgeführt. Nachfragen beantwortete der Angeklagte nicht. Zu Prozessbeginn hatte der Ex-Stadtrat erklärt, dass auch Druck von CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel ihn zu seinem Handeln veranlasst hätte.

Ein Wähler schilderte vor Gericht, wie die Briefwahl bei ihm abgelaufen war. Der Ex-Stadtrat habe ihn gebeten, per Briefwahl für ihn zu stimmen. Daraufhin habe er seine Wahlbenachrichtigungskarte unterschrieben und dem 43-Jährigen gegeben. »Er hat gesagt, den Rest macht er. Ich denke mal, er hat dann für uns gewählt«, sagte der Zeuge. Bei mehreren Bekannten sei es genauso gewesen. Auch bei der Stadtratswahl davor sei das so gelaufen. Zudem habe der Angeklagte ihn nach Bekanntwerden der Fälschung gebeten, bei der Polizei für ihn zu lügen. Er habe das aber abgelehnt.

Zwei Mitarbeiterinnen der CDU-Kreisgeschäftsstelle sagten aus, nichts von den Manipulationen gewusst oder geahnt zu haben. Beide hatten für den Ex-Stadtrat als Bevollmächtigte Unterlagen bei der Stadt abgeholt. Sie hätten lediglich ausgeführt, was ihnen aufgetragen wurde, erklärten sie. In einem Fall bekamen sie bei der Abholung gesagt, dass ein vermeintlicher Briefwähler seine Unterlagen bereits selbst abgeholt hatte. Auch auf Nachfrage der Staatsanwältin sagten sie, dass ihnen diese Auskunft nicht komisch vorgekommen sei. Mit dem Angeklagten hätten sie darüber nicht gesprochen.

Unterdessen tauchten noch vor Beginn des zweiten Prozesstages neue Vorwürfe gegen den Ex-Stadtrat auf. Mit gefälschten Arztrechnungen soll der 43-Jährige bei einer Krankenkasse rund 100 000 Euro Schaden verursacht haben, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Mittwoch.

Die Wohnung des Mannes war am Dienstagnachmittag durchsucht worden, Unterlagen wurden sichergestellt. Auf das aktuelle Verfahren haben die neuen Vorwürfe zunächst keinen Einfluss. Allerdings könnten sie das Verhalten des Angeklagten in einem anderen Licht erscheinen lassen, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte. dpa/nd

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