Werbung

Der erste Stellvertreter übernimmt

Berlusconi-Freund und Ex-Monarchist Tajani wird neuer Präsident des Europaparlaments

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Sichtlich zufrieden, aber nicht überheblich triumphierend nahm Antonio Tajani das Ergebnis zur Kenntnis: Der neue Präsident des Europaparlaments ist er. Mit Applaus, Umarmungen und Wangenküsschen wurde der 63-jährige Italiener begrüßt, als er am Dienstagabend nach Auszählung der Stimmen nach dem vierten und letztmöglichen Wahlgang den Straßburger Plenarsaal wieder betrat. Strahlend lächelte der zweifache Familienvater in alle Richtungen, für seinen hartnäckigsten Herausforderer, den Sozialisten Gianni Pittella, gab es einen kräftigen Klaps auf den Nacken. In aller Freundschaft versteht sich. Und trotzdem sicher mit einer gewissen Genugtuung. Denn gegen Italiener in Wahlen zu gewinnen gehörte in der Vergangenheit nicht unbedingt zu den Stärken Tajanis.

1996, in den ersten Jahren seiner politischen Karriere, scheiterte er mit seiner Wahl ins italienische Parlament am Kandidaten des damaligen Linksbündnis L’Ulivo. Bei dem Versuch, 2001 Bürgermeister von Rom zu werden, verlor Tajani in der entscheidenden Wahlrunde gegen den späteren Amtsinhaber Walter Veltroni. Weitaus erfolgreicher gestalteten sich seine Kandidaturen auf europäischer Ebene - das bewahrheitete sich jetzt.

Der Vater des 1953 in Rom geborenen geborenen Tajani war Offizier beim Militär, seine Mutter Lehrerin. Reich, so erzählt Tajani heute, seien sie nicht gewesen. Bei Opa und Oma hätten sie lange noch gewohnt, zur Schule sei er mit dem öffentlichen Bus gefahren. Eine Vespa hätte es für den kleinen Antonio nicht gegeben. Die Großeltern, eher streng in der Erziehung, seien dagegen gewesen.

Nach Abitur und Jura-Studium in Rom folgte Tajani den Fußspuren seines Vaters und ging zum Militär. Ausbildung als Luftwaffenabwehrspezialist in Latina südlich von Rom, danach als Offizier stationiert in San Giovanni Teatino in den Abruzzen. Dann der Wechsel in den Journalismus. Nach verschiedenen Stellen leitete er seit 1983 das Hauptstadtbüro der konservativen Tageszeitung »Il Giornale« aus Mailand. 1979 war »Il Giornale« von der Familie Berlusconi gekauft worden war. Noch als Journalist interviewte Tajani mehrmals einen gewissen Silvio Berlusconi. Der fand Gefallen an dem jungen Mann und zog ihn in die Politik.

Zwar hatte sich Tajani schon früher politisch interessiert und gehörte der Jugendbewegung der monarchistischen Partei an. Doch weitere Ambitionen waren daraus nicht erwachsen. Das ändert sich mit dem Entstehen von Berlusconis »Forza Italia«. Tajani gehört zu den Gründern der neuen Partei Anfang 1994. Nach dem Sieg bei den italienischen Parlamentswahlen nur zwei Monate später wird Tajani Sprecher des neuen Ministerpräsidenten Berlusconi. In Lazio wird er regionaler Koordinator seiner Partei und bleibt dies bis 2005.

Ebenfalls 1994 beginnt seine politische Tätigkeit auf europäischer Ebene. In diesem Jahr wird Tajani erstmals als Abgeordneter ins Europaparlament gewählt, dem er bis 2008 ununterbrochen angehört. 1999 wird er dort Sprecher seiner Forza Italia, die sich der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) angeschlossen hatte. 2002 wählen ihn die EVP-Mitglieder, zu denen auch die deutschen CDU/CSU-Politiker gehören, zu einem ihrer zehn Vizepräsidenten - ein Amt, das Tajani bis heute durch dreimalige Wiederwahlen weiterhin ausübt.

Unter EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ist Tajani zunächst EU-Kommissar für Verkehr, dann für Unternehmen und Industrie sowie Vizepräsident. Doch hinterlässt er in diesen Positionen wenig Spuren. Mit dem Ende von Barrosos Kommissionszeit lässt der Römer sich wieder ins Europaparlament wählen und wird auf Anhieb zu einem der 14 Vizepräsidenten gewählt. Er ist der erste Stellvertreter von Schulz.

Der Wechsel von Kommission ins Parlament erfolgt nicht ohne Überraschung. Sie besteht darin, dass Tajani auf Geld verzichtet. Als ehemaliger Kommissar hätte er drei Jahre lang monatlich Anrecht auf 13 000 Euro Übergangsgeld gehabt. Doch Tajani lehnt dankend ab. Begründung: In Zeiten, in denen viele EU-Bürger mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, sei es unangemessen, dieses Übergangsgeld zu kassieren. Er hätte ja direkt wieder eine Arbeit gefunden.

Diese hat ihn jetzt in die höchste politische Funktion geführt hat, die er je bekleiden durfte. Dabei gilt Tajani als Vertreter der alten Schule. Ein Konservativer, dem Linke und Grüne seine Versäumnisse beim Entstehen der Diesel-Gate-Affäre und seine fehlende Sensibilität beim Thema Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau vorwerfen. Auch seine politische Nähe zu Berlusconi lässt viele skeptisch bleiben, ob Tajani wirklich ein Präsident aller Fraktionen und Abgeordneten des Europaparlaments sein wird. Das aber hat er als sein Vorhaben angekündigt. Kommentar Seite 4

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal