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Neokoloniales Geschäft
Das offizielle Kiew feiert den Rohstoffdeal mit den USA, Kritiker sprechen von Kontrollverlust
Nach monatelangen Verhandlungen haben die USA und die Ukraine das umstrittene Rohstoffabkommen unterzeichnet. Mit ihm will sich Washington den Zugriff auf ukrainische Bodenschätze als Gegenleistung für seine Kriegshilfe sichern.
Trotz mehrfacher Ankündigungen eines bevorstehenden Abschlusses stand die Unterzeichnung bis zuletzt auf Messers Schneide, weil Kiew immer wieder mit Änderungswünschen kam. Zwischendurch drohte US-Präsident Donald Trump, die Geduld mit Wolodymyr Selenskyj zu verlieren, weil der ukrainische Staatschef nicht den Wünschen des Weißen Hauses folgte.
Gelder sollen in Investitionsfonds gehen
Laut der stellvertretenden Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko sieht das Abkommen die Einrichtung eines gemeinsamen Investitionsfonds für den Wiederaufbau der Ukraine vor. Dieser Wiederaufbaufonds solle in Projekte zur Förderung von Mineralien, Öl und Gas sowie in damit verbundene Infrastruktur investieren, erklärte sie. Investiert werden dürfe nur in der Ukraine. In den ersten zehn Jahren solle der Fonds Gewinne und Einnahmen nicht ausschütten, sondern reinvestieren. Danach sollen die Gewinne unter den Partnern aufgeteilt werden können.
Die Ukraine werde ihren Anteil am Fonds nicht aus bestehenden Rohstoffprojekten leisten, sondern 50 Prozent der Einnahmen aus künftigen Förderlizenzen oder Rohstoffverkäufen einzahlen. Die USA wiederum könnten ihren Beitrag zu dem Fonds auch in Form von Militärhilfe leisten. Kiew erhofft sich zudem einen Innovationstransfer aus den USA.
Kiew glaubt an diplomatischen Erfolg
Die offiziellen Reaktionen auf den Abschluss sind erwartbar positiv. US-Finanzminister Scott Bessent sprach von einem klaren Signal an die russische Führung, dass sich die Trump-Regierung langfristig für einen Friedensprozess einsetze. Auch der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha nannte das Abkommen einen wichtigen Schritt in der ukrainisch-US-amerikanischen strategischen Partnerschaft. Sein US-Amtskollege Marco Rubio sieht im Deal einen »wichtigen Schritt zur Beendigung des Krieges«.
In der Ukraine glaubt man nun Oberwasser zu haben. Der Rohstoffdeal sei ein Sieg der ukrainischen Diplomatie, frohlocken Kommentatoren in Kiew. Vor allem, weil für die Ukraine schmerzhafte Punkte gestrichen wurden, etwa die Schulden für die bereits geleistete Hilfe seitens der USA. Die hatte Trump auf 350 Milliarden US-Dollar beziffert. Mit dem Abkommen glaubt Trump, mehr als diese Summe für sich und die USA herauszuholen. Und das, obwohl nicht klar ist, wie viel eigentlich unter ukrainischer Erde verborgen ist und ob die Rohstoffe überhaupt wirtschaftlich ausgebeutet werden können.
Waffen müssen nun gekauft werden
Als großer Erfolg werden auch weitere Waffenlieferungen gesehen. Die USA wollen demnächst Militärgerät in Wert von 50 Millionen US-Dollar an Kiew verkaufen, schreibt die »Kyiv Post«. Im Gegensatz zu früheren Hilfslieferungen muss die Ukraine nun aber dafür bezahlen. Und wie bereits erwähnt, kann Washington die Waffen als Zahlung in dem Fond verrechnen, womit Kiew dann alleine Geld aufwenden muss.
Damit nicht genug. Wie das Portal »Strana« schreibt, enthält das Abkommen keine konkreten Angaben zur Arbeit oder Leitung des Fonds. Aussagen wie von Premierminister Denys Schmyhal, beide Seiten würden 50 Prozent der Stimmanteile halten, finden sich nicht im Dokument wieder. Ebenso ist nicht kodifiziert, dass die Gewinne in den ersten zehn Jahren ausschließlich in die Ukraine fließen. Ein Verbot, die Gelder ins Ausland zu bringen, fehlt ebenso.
Abkommen sehr diffus ohne konkrete Aussagen
Vieles im Vertrag sei »diffus«, merkt »Strana« an. Konkret wird es lediglich bei den Zahlungsverpflichtungen der Ukraine und in Bezug auf den Vorrang der USA bei der Erschließung und Ausbeutung der Bodenschätze. Im Grunde genommen ist der Vertrag keine Partnerschaft, wie angepriesen, sondern die Konsolidierung eines neokolonialen Mechanismus, schlussfolgert der kritische Telegram-Kanal Mediakiller: Die Kontrolle über die Ressourcen geht ins Ausland, während die Verantwortung für die sozialen und wirtschaftlichen Folgen bei der Ukraine bleibt. Auch der linke Aktivist Wjatscheslaw Asarow sieht den Deal kritisch. Wenn von der »ukrainischen Seite« die Rede sei, sei damit die Regierung und nicht die Bevölkerung und ihre Interessen gemeint. »Faktisch erwartet uns die Vereinnahmung des Landes durch ausländisches Kapital, das nicht altruistisch ist, sondern von hier aus Profit abziehen will«, so Asarow.
Kritiker sprechen von neokolonialer Ausbeutung
Ein Punkt, der selbst den Mächtigen in Kiew Kopfschmerzen bereitet, sind die fehlenden Sicherheitsgarantien seitens der USA, auf die Selenskyj stets gepocht hatte. Die USA hatten den Verzicht damit erklärt, dass allein ihre Anwesenheit bei der Ausbeutung der Bodenschätze Sicherheitsgarantie genug sei. Zudem scheint man in den USA der Überzeugung zu sein, dass der Rohstoffdeal seine Bedeutung verliert, sollte der Krieg noch länger andauernd, schreibt die »New York Times«. Wichtiger dafür könnte ein Vertrag über eine begrenzte Partnerschaft sein, auf den im Rohstoffabkommen immer wieder verwiesen wird, ohne dass mögliche Inhalte oder andere konkrete Angaben genannt werden.
In der kommenden Woche soll das ukrainische Parlament über das Abkommen abstimmen. Klar ist: Selenskyj will das Abkommen auf jeden Fall durch die Rada peitschen. Auch wenn die Abgeordneten möglicherweise gar nicht wissen, wozu sie ihre Zustimmung geben. Ukrainische Medien berichten von einem geheimen Teil des Abkommens, dessen Inhalt die Abgeordneten nicht kennen, der aber für Selenskyjs Team außerordentlich wichtig sein soll. Auch für Selenskyj selbst ist die Ratifizierung wichtig, kann er so doch endlich wieder einen Erfolg präsentieren.
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