Werbung

Ende der Welt

Klez.e zitiert The Cure

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Erinnert sich noch jemand an die 1980er Jahre bzw. an die Zeit, in der auf verwaschenen Schwarzweißfotos, die auf Schallplattencovern abgebildet waren, schlecht gelaunt dreinblickende, übernächtigt aussehende und in abgeschabten schwarzen Mänteln steckende Schluffis mit beeindruckenden Out-Of-Bed-Frisuren posierten? Und im Speziellen an die wunderbare dunkelromantische britische Jammer- und Weltschmerzband The Cure und ihren aus großen süßen Kinderaugen herausguckenden Supertrauerkloß und Sänger Robert Smith? Klar, die Welt war in insgesamt ungutem Zustand: Tschernobyl, Wettrüsten, Waldsterben, Saurer Regen und Liebeskummer. Das konnte ja nicht gutgehen damals. Ging es auch nicht. Seit den 1990ern kam es noch schlimmer: Wiedervereinigung, rassistische Mordbrennerei, Abschaffung des Sozialstaats, Kriege im Dutzend, die vollständige Verblödung und Winfriedkretschmannisierung Deutschlands und eine kapitalistische Totalität, in der »die komplette Journalistik sich auf staatsfrommes Blödeln verständigt hat« (Stefan Gärtner).

Die sehr gelungene Mischung aus verträumter Melancholie, possierlichem Kopfhängenlassen und schick gestyltem Selbstmitleid, die The Cure in den 80ern kultivierten, passend zu ihrer Zeit, prägte eine ganze Generation von New-Wave- und Postpunk-Hörern. Auch bei Tobias Siebert muss diese Phase der Popkultur Eindruck hinterlassen haben. Das Cure-Album »Disintegration«, im Jahr 1989 herausgekommen, ist seine Lieblingsplatte. Die britische Zeitschrift »Melody Maker« urteilte seinerzeit, die Platte bereite »so viel Spaß wie der Verlust eines Körperglieds«.

Auf dem soeben erschienenen neuen Album »Desintegration« seiner Band Klez.e zitiert Siebert, der auf den verwaschenen Schwarzweißfotos des CD-Booklets eine ähnlich kunstvoll verwuschelte Wischmobfrisur zur Schau stellt wie sein Vorbild Robert Smith, die von ihm verehrten The Cure bis in Details hinein: Man hört traurig den Regen prasseln. Und zu unheilschwanger waberndem Keyboardgeraune, ratlosen Depressionsgitarren und halbresigniert in Midtempo vor sich hinwummerndem Schlagzeug singt Siebert in der wehklagenden Manier von Robert Smith Lieder, die Titel tragen wie »Nachtfahrt«, »Schwarz« oder »November«.

Vermutlich tut die Band das, weil wir heute (siehe oben) auch nicht gerade goldenen Zeiten entgegengehen, die man ja musikalisch schon mal vorwegnehmen kann: »Schaut, wie es überall auf der Erde explodiert / Schaut, wie der Teufel beflügelt aus uns zielt / Wie uns das Ende dieser Welt fasziniert.« Oder: »Wenn es regnet, gehen die Kinder spielen / In den Trümmern vor dem Haus.«

Zugegeben, das ist nicht die ganz große Gegenwartskunst, eher die Lyrik eines Spätadoleszenten, der zu viele expressionistische Gedichte gelesen hat. Aber egal. Tolle Platte.

Klez.e: »Desintegration« (Staatsakt / Caroline International)

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal