Mit dem Silberstift in die innere Emigration

Im thüringischen Gera präsentiert das Otto-Dix-Haus eine Sonderschau zum 125. Geburtstag des Sohnes der Stadt

  • Doris Weilandt, Gera
  • Lesedauer: 4 Min.

Blick in ein schier endlos erscheinendes Tal. Kleine Dörfer liegen verstreut an den Wegen oder ducken sich im Schutz der umgebenden Hänge. Felsen berühren dramatisch aufsteigende Wolkengebirge. In diesem Kessel braut sich ein Unwetter zusammen. Die »Ideale Hegaulandschaft« zeichnet Otto Dix 1934. Zu diesem Zeitpunkt wird der anerkannte Akademielehrer von den Nazis als »Kulturbolschewist« bezeichnet und mit Ausstellungsverbot belegt, ein Jahr vorher hatte er seine Malprofessur in Dresden verloren.

Ein Albtraum: Im Lichthof des Rathauses werden seine Arbeiten »Kriegskrüppel« und »Schützengraben« zusammen mit Bildern der Expressionisten unter dem Titel »Spiegelbilder des Verfalls der Kunst« diffamiert. Diese »Schreckenskammer« wandert, noch lange vor der Ausstellung »Entartete Kunst« (1937/38), durch andere deutsche Städte. Dix zieht sich nach diesen Anfeindungen durch die nationalsozialistische Kulturpolitik, bei der insgesamt 260 Werke aus Museen entfernt werden, an den Bodensee zurück. »Ich habe Landschaften gemalt - das war doch Emigration«, sagt er rückblickend.

Dass Dix sich auf die altmeisterliche Technik des Silberstifts besinnt, lässt sich vielleicht durch seine malerische Beziehung zu Renaissancemeistern wie Dürer, Cranach, Baldung Grien und Grünewald erklären. »Die Zeichnungen haben bei Dix immer auch einen autonomen Charakter. Die Silberstiftzeichnung hat er als technische und künstlerische Herausforderung betrachtet«, erklärt der Leiter der Geraer Kunstsammlung, Holger Saupe. Die subtile Technik erfordert äußerste Sorgfalt, da keine Korrekturen möglich sind. Auf einen mit Knochenmehl und Leim grundierten Bildträger wird mit dem Silberstift Linie für Linie gezeichnet. Ganz fein bilden sich so die Konturen.

Unter den 50 Arbeiten, die derzeit im Dix-Museum Gera - jenem Haus, in dem Otto Dix am 2. Dezember 1891 geboren wurde - gezeigt werden, finden sich Porträts, Akte und Landschaften. Sie stammen vor allem von privaten Leihgebern und von der Otto Dix Stiftung Vaduz. Mehr als vier Jahrzehnte waren die meisten dieser sensiblen Arbeiten nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

»Landschaften habe ich in der Nazizeit massenhaft gemalt. Hier war ja weiter nichts. Also raus in die Landschaft und Bäume gezeichnet …«, reflektiert Dix abschätzig über die Jahre der inneren Emigration. Dass er weit mehr gezeichnet hat als Bäume, lässt sich nicht nur am Bild »Ideale Hegaulandschaft« ablesen. Mehrere Blätter zeigen den jüdischen Friedhof von Randegg im Winter. Durch diese Metaphorik setzt er sich mit der Lage der Juden in der Nazi-Zeit auseinander. Er findet Zeichen für ihre Bedrohung und Verfolgung.

Dix wäre nicht Dix, wenn er es bei der bloßen Darstellung des Geschauten beließe. Selbst die »Pflanzenstudie«, die an »Das große Rasenstück« von Dürer erinnert, ist durch die Auswahl der Arten, die auf die Passion verweisen, mehr als die sorgfältige Zeichnung irgendeines Naturstücks. Oder wie Dix selbst sagte: »Der Maler lehrt die Menschen sehen (…) auch das, was hinter den Dingen ist.«

Dix wandte sich zu Beginn der 1930er Jahr auch wieder dem Selbstporträt zu. In der Geraer Ausstellung finden sich einige Beispiele dafür. 1933 blickt er forschend und kritisch direkt auf sein Gegenüber. Er trägt den Malkittel, der ihn als Künstler ausweist. Sein Mund ist sinnlich und geschlossen.

Auf dem Silberstift-Porträt von 1937 ist er nackt. Sein Gesicht und der Körper tragen Spuren von Mitgenommensein. Er wirkt gebeugt und klein, seine Augen blicken ängstlich, aber auch zornig. Die Zähne sind zusammengebissen. Der Maler will überleben, auch wenn ihm alles genommen wurde. Das erschütternde Porträt ist in der Geraer Ausstellung so platziert, dass der Besucher nachvollziehen kann, was den Künstler in dieser Zeit bewegt hat.

Die Silberstiftzeichnungen zeigen einen sensiblen, verletzbaren Dix, der mit diesem »schönsten graphischen Material« virtuos umzugehen vermochte. Nur wenige Künstler haben sich nach der Renaissance an diese Technik herangewagt, die äußerste Konzentration erfordert. »Dix war zu dieser Konzentration fähig und er hatte die handwerklichen Fähigkeiten«, konstatiert der Leiter der Geraer Kunstsammlung.

Die Ausstellung »Otto Dix: Zeichenkunst mit Silberstift. Zum 125. Geburtstag des Künstlers« im Otto-Dix-Haus Gera ist noch bin zum 19. März zu sehen.

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