Pariser lieben ihre »Kulturraffinerie«

Vor 40 Jahren wurde in der französischen Hauptstadt das Centre Georges Pompidou eröffnet

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Pariser Kulturzentrum Georges Pompidou begeht in dieser Woche sein 40-jähriges Bestehen. In der Zeit ist es nicht nur zu einer unverzichtbaren Institution des kulturellen Lebens der Hauptstadt geworden, sondern auch zu einem festen Bestandteil des Stadtbildes. Für viele ausländische Touristen, aber auch für Hauptstadtbesucher aus der französischen Provinz gehört es einfach zum »Pflichtprogramm« ihrer Besichtigungstour. Seinen Ursprung verdankt das Kulturzentrum dem Wunsch des 1969 zum Präsidenten Frankreichs gewählten Georges Pompidou, ein Museum für zeitgenössische Kunst zu schaffen.

Unter seinem Amtsvorgänger Charles de Gaulle hatte dessen Kulturminister, der Schriftsteller André Malraux, sehr viel für die Pflege des historischen Kunst- und Kulturerbes getan. Pompidou war ein großer Freund zeitgenössischer Kunst und vermisste eine feste Einrichtung dafür, die mit dem Museum für Moderne Kunst MoMA in New York vergleichbar sein sollte. Als Standort wurde ein verwahrlostes und zum Abriss bestimmtes Stadtviertel in der Nähe des Pariser Rathauses ausgewählt.

Es wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, auf den sich 681 Architekten aus 49 Ländern meldeten. Zu den vorgegebenen Anforderungen gehörten außer einem Museum und Räumen für mehrere Ausstellungen auch ein Zentrum für elektronische Musik, Kino- und Vortragssäle, eine öffentliche Bibliothek für jedermann und ein Restaurant. Den Entwurf, den eine unabhängige Jury auswählte, hatten zwei junge, damals noch unbekannte Architekten eingereicht, der Italiener Renzo Piano und der Engländer Richard Rogers. Der von ihnen vorgeschlagene Bau schockierte viele Franzosen. Auch Präsident Pompidou war anfangs nicht gerade begeistert. Doch als Förderer zeitgenössischer Kunst und Architektur setzte er den Bau gegen alle Widerstände durch. Für Piano und Rogers sollte das der Beginn einer international sehr erfolgreichen Karriere werden. Ihr Bau hat Architekturgeschichte geschrieben. Es handelt sich um ein riesiges Gerüst mit eingehängten und rundum voll verglasten Etagen, die nach Bedarf unterteilt werden konnten. Um im Innern Platz zu gewinnen, wurden alle Versorgungsleitungen konsequent nach außen verlegt. Damit waren sie nicht nur sichtbar, sondern sie zogen wegen ihrer unterschiedlichen Farben für Stromleitungen, für Frisch- und Abwasser oder für Heizung und Klimatisierung den Blick regelrecht auf sich.

Wegen dieser provokativen Neuerung wurde der Bau von Kritikern verächtlich »Kulturraffinerie« genannt. Die Beförderung von Etage zu Etage gewährleistet eine in einer gläserne Röhre verlaufende Rolltreppe. Von ihrer höchsten Plattform 50 Meter über der vor dem Zentrum gelegenen Piazza bot sich ein einzigartiger Rundumblick auf Paris.

Anfang 1977 war der Neubau fertig und am 31. Januar erfolgte die offizielle Einweihung durch Präsident Giscard d’Estaing, Amtsnachfolger des 1974 verstorbenen Pompidou. Die Öffnung des Zentrums für Besucher mit einer großen Ausstellung von Werken des spanischen Malers Salvador Dali konnte erst am 2. Februar erfolgen, weil es zunächst einen Streik der Mitarbeiter gab, die gegen die ihnen zugemuteten Arbeitsbedingungen protestierten. Das fand der exzentrische Dali, der zur Ausstellung angereist war, »einfach grandios«.

Seitdem hat es im Centre Pompidou 325 Ausstellungen mit insgesamt mehr als 100 Millionen Besuchern gegeben. Das Museum für Zeitgenössische Kunst kann immer nur etwa vier Prozent der 120 000 Werke des riesigen Fundus zeigen und wechselt diese daher regelmäßig aus. Die Freihandbibliothek, mit 300 000 Bänden die größte in Frankreich, wird vor allem von Studenten genutzt, zumal es in Paris an Universitätsbibliotheken mangelt.

Nach 20 Jahren hatten insgesamt 150 Millionen Menschen das Zentrum besucht - ein Vielfaches dessen, womit man ursprünglich gerechnet hatte. Darum wurde eine gründliche Renovierung nötig, die von Oktober 1997 bis Dezember 1999 erfolgte. Bei dieser Gelegenheit wurde die Administration in ein nahes Bürohaus ausgelagert, um im Zentrum mehr Platz für Ausstellungen und die Bibliothek zu schaffen. Als das Zentrum am 1. Januar 2000 wiedereröffnet wurde, erwartete die Besucher eine herbe Überraschung: sie mussten von nun an Eintritt bezahlen. Vorher war das Zentrum kostenlos geöffnet, daher aber auch überlaufen von Touristen, die einfach nur mal hochfahren und einen Blick auf die Dächer der Stadt werfen wollten.

Der Andrang ist aber nach wie vor groß: Pro Tag zählt man bis zu 16 000 Besucher. Die meisten Pariser haben längst ihren Frieden mit dem Anblick des ungewöhnlichen Bauwerks geschlossen und wollen ihr Centre Pompidou nicht mehr missen.

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